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Dienstag, 16. Februar 2016

»Kenne deinen Feind und erkenne dich selbst«: Washington und der kommende Krieg

»Kenne deinen Feind und erkenne dich selbst«: Washington und der kommende Krieg

F. William Engdahl

Einer meiner oft zitierten Sprüche ist rund 2500 Jahre alt. Er stammt von dem angesehenen chinesischen Philosophen Sun Tzu aus seinem kleinen Meisterwerk Die Kunst des Krieges. Jahrhundertelang war es nicht nur in Asien, sondern auch in der westlichen Welt eine der einflussreichsten Schriften über Strategie gewesen. Der Spruch lautet wie folgt:
»Wenn du den Gegner kennst und dich selbst, musst du das Ergebnis von hundert Schlachten nicht fürchten. Wenn du dich selbst kennst, aber nicht der Feind, wirst du für jeden errungenen Sieg auch eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.« – Sun Tzu, Die Kunst des Krieges

Wenn ich im Hinblick auf eine geopolitische Situation eine bedeutendere politische oder wirtschaftliche Entwicklung untersuche, ist es sehr wichtig, zuerst in mich hineinzuhören. Ich muss nachspüren, ob ich bei meiner Analyse aufgrund meines tief empfundenen persönlichen Wunsches nach einer friedlichen, harmonischen Welt die Realität einer bestimmten Nation oder einer Gruppen von Nationen verzerre.

Auf ähnliche Weise muss ich mir, falls ich mir die rücksichtslosen machtgierigen Paten vornehme, die heute die amerikanische und die NATO-Politik beherrschen, sicher sein, dass ich nicht nur oberflächlich weiß, was ein amerikanischer Präsident oder Außenminister vielleicht an einem bestimmten Tag gesagt hat. Es könnte sich um eine Lüge, ein schlaues Manöver handeln oder sogar ehrlich gemeint sein. Die Arbeit eines jeden ernsthaften Analytikers besteht darin zu klären, wie er dazu kommt, tiefer zu graben, um den Erzgang »abzubauen« und die tatsächlichen strategischen Auswirkungen zu erkennen.

Dies ist der Fall, wenn man herausfinden will, was die tatsächliche Politik Washingtons, seine derzeitige Wirtschafts- und Außenpolitik, ist. Was ist zum Beispiel der eigentliche Sinn und Zweck hinter der kürzlich erfolgten Reise des 92-jährigen Dr. Henry Kissinger nach Moskau, um Wladimir Putin und andere zu treffen? Welchen Zweck verfolgt John Kerry wirklich, wenn er eine freundlichere Politik gegenüber Russland zu betreiben scheint als – sagen wir – seine Referatsleiterin im Außenministerium Victoria Nuland oder Verteidigungsminister Ash Carter?

Handelt es sich um die Stimme einer bedeutenden Fraktion innerhalb der außenpolitischen Führungskreise, die tatsächlich eine Umstellung der Politik Washingtons gegenüber Moskau von Konfrontation und Kriegskurs auf Entspannung, Diplomatie und letztendlich die Hinwendung zu einer Politik des Friedens und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit anstreben? Was ist die wirkliche Absicht des römischen Papstes, wenn er sich mit dem orthodoxen Patriarchen Kirill von Moskau treffen will, immerhin das erste Treffen zwischen den beiden Kirchen – der Ost- und der Westkirche – seit dem Großen Schisma von 1054? Handelt es sich um einen positiven Schritt für die Menschheit und den Frieden in der Welt oder um etwas Bedrohliches und Verhängnisvolles?

Ist Washington verwirrt oder täuscht es?

Die Vorstellung ist weit verbreitet und wird von amerikanischen und europäischen »anerkannten« und anderen Medien, sogar von Medien in Russland und China, verbreitet, nämlich dass Washington in einer heillosen Verwirrung stecke, dass es eine Supermacht oder ein Hegemon sei, der seine Orientierung verloren habe. Medienanalytiker schreiben über einen politischen Zusammenstoß oder über Fraktionskämpfe, die alle US-Maßnahmen zur Vernichtung des IS in Syrien und im Irak zu einem lächerlichen Witz werden lassen.

Aus jahrelanger Analyse der US-Außenpolitik habe ich gelernt, ihr in meiner Einschätzung einen gewissen Respekt entgegenzubringen. Es handelt sich dabei überhaupt nicht um Bewunderung, wohl aber um die Anerkennung, dass die immerhin stärkste Supermacht der Erde nicht ohne außergewöhnliche Kompetenzen, eine Gerissenheit, die bemerkenswerte Fähigkeit, überzeugend zu lügen, zu täuschen und die Schwächen ihrer Gegner sehr präzise zu manipulieren, in diese Machtposition gelangt ist.

Diese Täuschung war seit 1945 immer das Markenzeichen der amerikanischen Außenpolitik, ebenso im Jahr 1989 gegenüber der Sowjetunion Michail Gorbatschows. Dieser hatte seinen amerikanischen Gesprächspartnern vertraut, die hoch und heilig versprochen hatten, dass der Westen die NATO niemals weiter nach Osten vordringen lassen würde. Täuschung ist das Markenzeichen der US-Wirtschaftspolitik, seit in Bretton Woods 1944 der Dollar als Leitwährung etabliert und jede mögliche Herausforderung der Vorherrschaft des US-Dollar als Reservewährung, der – abgesehen vom US-Militär – strategisch wichtigsten amerikanischen Stütze ihrer Macht, vereitelt wurde.

Vor einigen Jahren sagte mir ein ehemaliger West-Point-Offizier, die Kadetten von West Point, die einmal Amerikas künftige Generäle, Oberste und Militärstrategen stellen sollen, würden tief in die Denkweise Sun Tzus und des Diplomaten der italienischen Renaissance, Niccolò Machiavelli, eingewiesen. Letzterer lehrt in seinem Buch Der Fürst die Anwendung von List und Doppeldeutigkeit in der Staatskunst oder im allgemeinen Verhalten.

In der internationalen Politik ist es töricht, seinen Feind für dumm zu halten. Das kann tödlich sein. Natürlich machen sie ständig Fehler, nur um in ihrer Versessenheit auf Weltmacht und Kontrolle eine weitere Front aufzuziehen, zu begradigen oder zu verschieben.

Nützlicher ist die Annahme, sie verfolgen hinter einem Schleier machiavellistischer Lügen und Täuschung eine wohl durchdachte Strategie, als von Dummheit als Untersuchungsprämisse auszugehen. Was also läuft da hinter einer unglaublichen Reihe widersprüchlicher Anhaltspunkte aus Washington zwischen den Akteuren im Krieg gegen Syrien und im gesamten Mittleren Osten heute, im Februar 2016, ab?

Russland wird in Syrien benutzt

Wenn wir die aktuelle US-Politik im Nahen Osten, vor allem in Syrien und im Irak untersuchen, und davon ausgehen, dass es sich um eine sehr gut durchdachte Strategie handelt, um ein bestimmtes, genau umrissenes Ziel zu erreichen, dann stellt sich die Situation ganz anders dar.

Meine derzeitige Schlussfolgerung ist, dass unter dem Deckmantel einer scheinbaren politischen Konfusion und Unfähigkeit aufseiten Washingtons, des Pentagons, des Außenministeriums und seiner Hintermänner an der Wall Street eine sorgfältig geplante Strategie steckt; nämlich die, in dem an Öl und Gas reichen Nahen Osten einen Krieg zu zünden, der die politische und die Ölkarte der Welt dramatisch verändern wird. Jawohl, ein neuer Krieg um Öl, wie schon so viele der Kriege des letzten Jahrhunderts, eines Jahrhunderts des Krieges, wie der englische Titel eines meiner Bücher lautet.i

Die Denkfabriken Washingtons und der Wall Street hinter der kommenden Veränderung im Nahen Osten dirigieren die Maßnahmen der staatlichen Akteure, die, geblendet von ihrer Gier oder dem Wunsch nach einem Imperium, einem osmanischen oder saudi-arabischen, nicht sehen, dass sie in eine Falle geraten.

Sie haben offensichtlich nicht Sun Tzu studiert und noch weniger über so tiefgreifende Aufgaben nachgedacht, wie sich selbst und ihre Gegner zu erkennen. Sie werden wie Erdoğan und seine heutige Türkei zumeist von einem brennenden Hass auf die Syrer, die Kurden, die Europäer undsogar auf die Saudis getrieben, mit denen verbündet zu sein Erdoğan behauptet. In Erdoğans Kasbah hält jeder hinter seinem Rücken den Dolch griffbereit.

Washington stellt die Falle auf

Was könnte die eigentliche Strategie Washingtons und seiner Gönner an der Wall Street in dem vorliegenden Chaos des Nahen Osten sein, das »Krieg zum Sieg über den IS« genannt wird? Es ist nützlich, sich auf Ende September 2015 zurückzubesinnen, als Russland nicht nur Washington, sondern die ganze Welt mit der Schnelligkeit und Effizienz seiner angeforderten militärischen Intervention gegen den IS und andere Terrorgruppen, die Syrien zerstören, überrascht hat.

Aus dem Ausbleiben einer wirksamen Antwort aus Washington und den nachfolgenden Maßnahmen Washingtons geht klar hervor, dass sich ihre politischen Strategen Zeit nahmen, um ihre ursprüngliche Strategie für den Regimewechsel in Syrien neu zu berechnen. Was dabei herauskam, ist der klare Hinweis darauf, dass sie beschlossen haben, die russische Intervention zu benutzen, um ihren ursprünglichen strategischen Plan für die Region voranzubringen.

Sie folgen ziemlich genau dem Lehrsatz der klassischen Kriegskunst: Wende die Kraft deiner Gegner gegen diese selbst. Das riecht nach der Strategie Churchills, Hitler 1939 zu einer Invasion nach Polen zu verleiten, um Deutschland den Krieg zu erklären und dann abzuwarten, bis Deutschland die Sowjetunion angegriffen hatte, bevor er ernsthafte Schritte unternahm. Das war die Zeitspanne, die »Phony War« (»Schein«- oder Sitz-Krieg) genannt wurde.

Washington hat Ereignisse inszeniert, darunter das scheinbare amerikanisch-russische Abkommen um die UN-Resolution 2254 vom 18. Dezember 2015, die zu den sogenannten »Friedensgesprächen« Genf III geführt hat. Washington hat von Anfang an die Genf-III-Gespräche sabotiert, und zwar durch seine Kontrolle über die »Friedensvermittler«, darunter den US-Diplomat und jetzigen UN-Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten Jeffery D. Feltman und den zweitrangigen Staffan de Mistura, den machiavellistischen Gesandten der Vereinten Nationen für Syrien und die Arabische Liga. Washington stellte sich hinter die Forderung Saudi-Arabiens, die große syrisch-kurdische Minderheit, die sich an der Schusslinie des IS in Syrien befindet, auszuschließen und die syrische »Opposition« tatsächlich von ölhungrigen Saudis bestimmen zu lassen.

Nun haben sich Russland und die USA nach den Münchner Gesprächen der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (ISSG) am 12. Februar unter dem gemeinsamen Vorsitz von Kerry und Lawrow auf ein Papier über die »Einstellung der Feindseligkeiten in einer Woche nach der Bestätigung durch die syrische Regierung und die Opposition im Gefolge entsprechender Konsultationen in Syrien« geeinigt. Und weiter: »Die Mitglieder der ISSG bekräftigten erneut, dass es Sache des syrische Volkes sei, über die Zukunft Syriens zu entscheiden.«ii

Nun gibt es darin zwei Punkte, die – wie ich finde – grellrot aufleuchten. »Einstellung der Feindseligkeiten« bedeutet, dass die hochwirksame Luftunterstützung Russlands für die syrische Nationale Armee, die Hisbollah und andere Pro-Assad-Kräfte zu diesem kritischen Zeitpunkt beendet oder deutlich verringert wird. Russische Parlamentarier wenden ein, dass die Feuereinstellung nicht für das Gebiet um Aleppo gelte, das vom IS oder der al-Nusra-Front beherrscht wird. Doch das wird sich noch herausstellen.iii In beiden Fällen handelt es sich um eine Falle.

Der Waffenstillstand soll gerade dann eintreten, wenn die syrischen Streitkräfte mit russischer Unterstützung in Aleppo kurz vor einem größeren Sieg stehen und davor, die Nachschublinien des IS nach Erdoğans Türkei, der wie die Saudi-Monarchie Schutzherr des IS ist, zu unterbrechen. Zweitens gibt es keine Forderung, dass der IS oder al-Nusra die »Feindseligkeiten« einstellt. Das bedeutet, Russland hat sich bereit erklärt, die Unterstützung für Assad zu beenden. Aber der IS ist an der Abmachung nicht beteiligt, bleibt also ungebunden. Jetzt verdichtet sich das Komplott und wird sehr gefährlich.

Washington mit dem Janusgesicht

Washingtons Politik – die Politik des militärisch-industriellen Komplexes und ihrer Wall-Street-Bankiers – hat sich in keiner Weise geändert. Das ist offensichtlich. Ich finde keinen überzeugenden Hinweis auf das Gegenteil. Sie planen die Zerstörung Syriens als funktionierende Nation, die Zerstörung des Irak, die 1991 begann, und haben vor, diese Zerstörung jetzt auf das Königreich Saudi-Arabien, die Türkei und den gesamten öl- und gasreichen Nahen Osten auszuweiten. Sie benutzen zu diesem Zweck nach dem »das Spiel verändernden« Eingreifen Russlands seit dem 30. September einfach nur andere Mittel.

Während Außenminister John Kerry die übliche Rolle des »netten Polizisten« gegenüber dem russischen Außenminister Sergej Lawrow im Vorfeld der Gespräche in München eingenommen hat, hatte ein Pentagon-Sprecher am 10. Februar fälschlicherweise das russische Militär beschuldigt, zwei Krankenhäuser in Aleppo bombardiert zu haben, obwohl nach vorheriger Absprache US-Flugzeuge an diesem Tag über der Stadt operierten.

Der Sprecher des Pentagons, Oberst Steve Warren, beklagte, dass russische Flugzeuge in Syrien »dumme« Bomben einsetzen und »diese Bomben wahllos über dicht besiedelte Gebiete unabhängig davon abwerfen, ob sich in diesen Gebieten Frauen und Kinder, Zivilisten oder Krankenhäuser befinden«. Diese Vorwürfe wies Moskau zurück.iv

Zwei Tage später ging Lawrow in München im Auftrag Moskaus offenbar einen Kompromiss hinsichtlich seines Angebots einer Waffenruhe in drei Wochen ein. Er akzeptierte stattdessen eine Frist von einer Woche. Das war möglicherweise ein verheerender Rückschlag für den kurz bevorstehenden Sieg der syrischen Nationalen Armee, für die Zurückeroberung Aleppos und die Unterbrechung der Versorgungsroute des IS aus der Türkei.

Interessant daran ist, dass diese Entscheidung nur neun Tage nachdem Henry Kissinger sich mit Putin in Moskau getroffen hatte gefallen ist. Wir können nicht wissen, ob zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang gegeben ist. Dann, am 12. Februar, äußerte Wladimir Dzhabarow, der erste stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für internationale Angelegenheiten im Föderationsrat, der TASS gegenüber, dass die Gebiete, die immer noch von Terroristen wie dem IS und al-Nusra besetzt sind, nicht unter die Münchner Waffenruhe fallen.v

Das Pentagon ist auch unauffällig dabei, im Irak Bodentruppen einzusetzen. Der Kriegsjargon Washingtons ist im Zeitalter der Kriegführung mit Drohnen so entmenschlicht worden, dass wir nicht mehr von Soldaten sprechen, sondern nur noch von ihren »Stiefeln«. Sie bereiten gerade ein wichtiges militärisches Vorgehen in Syrien vor, sei es durch türkische und saudi-arabische Stellvertreter oder unmittelbar selbst, oder beides – und dies trotz der wohlklingenden Worte über humanitäre Hilfe und über von der UNO überwachte syrische Wahlen in 18 Monaten. Zur gleichen Zeit leiten Veteranen des US-Militärs in den USA die Propaganda von einer zehnjährigen Belagerung ein, bevor die USA den letzten IS-Terroristen aus dem ölreichen Mosul, dem Herzen der nordirakischen Ölförderung, vertreiben können.vi

Am 22. Januar erklärte der US-Verteidigungsminister Ash Carter in einem Interview mit CNBC, die USA beabsichtigten, die größten Hochburgen des Islamischen Staates einzunehmen, also die nordirakische Stadt Mosul und die »Hauptstadt« des IS, Raqqa, in Syrien. »Wir suchen nach Möglichkeiten, mehr zu tun, und das werden Stiefel am Boden sein, und ich möchte in dieser Sache ganz deutlich sein. Doch ist es eine strategische Frage, ob man lokale Kräfte befähigt, Stellungen einzunehmen und zu halten, oder versucht, diese abzulösen«, sagte Carter. Und: »Wir sind vorbereitet, viel zu unternehmen, weil wir die beste Kampftruppe haben, welche die Welt je gesehen hat. Wir können selbst eine Menge tun.«vii

Die USA geben an, bereits 50 Spezialstreitkräfte in den Norden Syriens geschickt zu haben, um Informationen einzuholen und Kontakte mit den Streitkräften vor Ort zu pflegen. »Das ist ein Schlüsselloch, durch das man eine Menge Einblicke bekommt und das uns erlaubt, das riesige Gewicht der militärischen Streitmacht der Koalition auf eine effektive Art und Weise auf dem Schlachtfeld zum Tragen zu bringen«, erklärte er. Der führende russische Duma-Abgeordnete Wladimir Solowjow, der Leiter des Außenpolitischen Ausschusses des russischen Parlaments, wies Carters Aussagen als Werbegag Washingtons zurück, um »im Kampf gegen den Terrorismus im Nahen Osten Punkte zu stehlen«. Das ist ein Zeichen dafür, dass zumindest einige in der russischen politischen Führung ihren Feind nicht wirklich kennen.viii

Ein sich ausbreitender Weltkrieg

Ich werde jetzt eine Vorhersage machen, die man als zutreffend oder, hoffentlich, als nicht zutreffend, bestätigen kann. Das wird sich, schätze ich, in zwei Monaten, etwa Ende März oder April klären. Die US-Machiavellisten haben nicht nur die Türkei Erdoğans und des Saudi-Arabien-Prinzen Salman, sondern nun auch Moskau im Nahen Osten in ihre Falle gelockt. Die ersten Verlierer in diesem sich entfaltenden tödlichen Spiel werden Saudi-Arabien, die Türkei, Syrien, der Irak und wahrscheinlich Russland sein. Die ultimativen Verlierer werden schließlich auch die amerikanischen Patriarchen oder Oligarchen hinter diesen endlosen Kriegen der Zerstörung sein, aber – kaum verwunderlich – nicht unmittelbar zu Beginn des Krieges.

Achten Sie genau auf die jüngsten Aussagen der beiden entscheidenden Kriegstreiber in Washington – Joe Biden und John Kerry –, über die kaum berichtet wurde. Am 24. Januar traf sich US-Vizepräsident Joe Biden, der im Februar 2014 den Staatsstreich der USA in Kiew geleitet hatte,mit dem türkischen Präsidenten und Möchtegernsultan eines neo-osmanischen Imperiums, Recep Erdoğan. Biden teilte Erdoğan und Ministerpräsident Davutoğlu mit, dass Washington von der Türkei und dem Irak wünsche, dass sie sich in einem herausbildenden US-Militär-Plan zur Rückeroberung der irakischen Stadt Mosul vom IS zusammentun, »koordinieren«. Ein Beamter der Obama-Regierung erklärte, dass sich der Angriff auf Mosul in einer »knallkarten Planungs«-Phase befinde, wenn er auch nicht unmittelbar bevorstünde.ix

Der nicht genannte »höhere« US-Beamte, wahrscheinlich Joe Biden, ließ verlauten, dass die USA gerade mehrere hundert Sunniten in Syrien sowie einige Türken auswählen, von denen die Türkei sagt, die Regierung habe sie als »potenzielle Kämpfer« ausersehen, um den USA zu helfen, die rund 60-Meilen-Grenze zu Syrien, die noch unter Islamischer-Staat-Kontrolle steht, zu schließen. Die Quelle fügte hinzu, Washington hoffe, in den kommenden Wochen ein Paket neuer technischer Unterstützung für die Türkei geschnürt zu haben, das ihr hilft, diesen Grenzabschnitt zu sichern.x

Biden unterstützte auch stark den Kampf der Türkei gegen die türkisch-kurdische PKK und sagte des Weiteren, die USA würden ihren militärischen Einsatz gegen den IS verstärken, wenn es zu keiner Einigung über eine politische Lösung in Syrien käme.xi Joe Biden weiß genau, dass Erdoğan und der Chef des türkischen Geheimdienstes MIT Hakan Fidan voll und ganz den IS unterstützen und die ethnische Säuberung gegen die Kurden in der Türkei und in Syrien mit voller Kraft vorantreiben. Er weiß das, weil die CIA zusammen mit Fidan, einem in den USA ausgebildeten türkischen Militärveteranen, in den letzten zwei Jahren auf geheim gehaltenen türkischen Stützpunkten IS-Terroristen für Washingtons Krieg gegen Assad ausgebildet haben.xii

Wenn Sie anfangen, hier ein großes Stinktier zu wittern, haben Sie einen gesunden Geruchssinn. Jetzt sehen wir, dass Washington und Erdoğan unerwünschte US- und türkische Truppen in den Irak, in die Region Mosul, verlegen, um eine größere militärische Operation vorzubereiten, und dies mit oder ohne die Zustimmung des irakischen Premierministers Haider al-Abadi, der wiederholt und machtlos verlangt hat, dass die türkische Armee Mosul verlässt.

Warum Mosul?

Sie können zu Recht fragen: Warum gerade Mosul? In Anlehnung an Bill Clintons berühmte Entgegnung auf George H. W. Bush aus dem Jahr 1992 sage ich: »Es geht um Öl, Dummkopf.« Die fehlgeschlagene US-Operation mit der Bezeichnung »arabischer Frühling«, die misslungene Unterstützung der Muslimbruderschaft in Ägypten und in den Ölstaaten des Nahen Ostens durch die CIA und die Regierung Obama sowie jetzt ihre Operationen mit der Türkei in Mosul und Syrien drehten sich alle um Öl.

Dieses Mal handelt es sich allerdings nicht darum, die reichen Ölfelder des Irak und Syriens zu übernehmen. Es geht darum, sie zu zerstören. Das Modell gibt die von den USA arrangierte und von Frankreich durchgeführte Zerstörung von Gaddafis Libyen vor. Irak besitzt, wie eine politische Arbeitsgruppe Dick Cheneys 2001 herausgefunden hatte, die drittgrößten nachgewiesenen konventionellen Ölreserven der Welt neben den gleich großen des Iran, wobei diejenigen Saudi-Arabiens die größten sind. Das Gebiet um Mosul und die nahegelegenen von den Kurden beherrschten Ölfelder bei Kirkuk stehen zurzeit im Brennpunkt der US-Militärstrategie. In Syrien kontrollieren IS-Terroristen den größten Teil der syrischen Ölfelder. Von dort wird das Öl illegal und mit Hilfe der Familie Erdoğans auf die Weltmärkte gebracht, um deren Terrorkrieg gegen das Assad-Regime zu finanzieren.

Ein verhängnisvoller Agenturbericht ließ, als ich ihn las, mir einen Schauer über den Rücken laufen. Am 28. Januar teilte Generalleutnant Sean MacFarland, von der US-Armee und Leiter der US-geführten Koalition gegen den IS im Irak und in Syrien, mit, das US-Militär befinde sich am Mosul-Staudamm vor Ort, um »die Möglichkeit« seines Dammbruchs zu beurteilen. Wäre er gesprengt worden, hätte das eine Flutwelle durch das dicht besiedelte Tigris-Tal geschickt. »Wir versuchen im Moment gerade, die Wahrscheinlichkeit eines Dammbruchs zu bestimmen, ... alles, was wir wissen, ist, dass er, wenn es dazu kommt, schnell vor sich gehen wird und dass das schlecht wäre«, sagte MacFarland zu Reportern in Bagdad. Das US-Außenministerium schätzt, dass dabei bis zu 500 000 Menschen umkommen könnten und über eine Million obdachlos würden, sollte Iraks größter Staudamm brechen.xiii

Die Flut würde wahrscheinlich die großen Ölfelder von Kirkuk auf ihrem Weg überspülen und außer Betrieb setzen. Wer den Mosul-Staudamm, den größten im Irak, in der Hand hat, kontrolliert weitgehend die Wasser- und Energieversorgung des Landes. Der Damm enthält über zwölf Milliarden Kubikmeter Wasser, die für die Bewässerung in den landwirtschaftlichen Gebieten der westlichen Provinz Ninive des Irak von entscheidender Bedeutung sind. In einem Schreiben aus dem Jahr 2007 hatte US-General David Petraeus, eine Schlüsselfigur bei der Zerstörung des Irak und Schaffung dessen, was später der IS wurde, die Regierung Iraks gewarnt, dass »ein katastrophaler Defekt des Mosul-Staudamms zu einer Flutwelle führen würde, die entlang des Tigris die ganze Strecke bis nach Bagdad reicht«.xiv

Washingtons Stellvertreterkrieg zeichnet sich ab

Stellen Sie einen Zusammenhang her zwischen dieser Aussage über den Mosul-Staudamm von General MacFarland, dem Leiter der US-geführten Koalition gegen den IS im Irak und in Syrien, den Gesprächen Joe Bidens, die den Irak dazu bewegen sollen, die türkische Militärinvasion »im Krieg gegen DAESH« hinzunehmen, der Aufforderung des US-Außenministers John Kerry an den Prinzen Salman, den Krieg Saudi-Arabiens gegen Jemen zu führenxv, und dazu noch zu den jüngsten Erklärungen Ash Carters in Davos. Fügen Sie dem noch die Tatsache hinzu, dass saudi-arabische und türkische Militärs gerade Pläne angekündigt haben, gemeinsame militärische Maßnahmen »zur Zusammenarbeit gegen gemeinsame Bedrohungen« zu ergreifen.

Am 13. Februar bestätigte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu einen gemeinsamen türkisch-saudi-arabischen Plan zur gemeinsamen Invasion nach Syrien. Dabei sagte er der Presse: »Wenn wir eine solche Strategie haben, dann werden die Türkei und Saudi-Arabien wohl eine Bodenoperation einleiten.«xvi

Nehmen Sie dazu noch die Tatsache, dass das türkische Militär damit begonnen hat, einen syrischen Luftwaffenstützpunkt und ein Dorf mit Granaten zu beschießen, das kürzlich von syrischen Kurden zurückerobert worden war. Das geschah mit dem Argument, die Kurden in Syrien seien »Terroristen« wie die türkischen PKK-Kurden. Der türkische Ministerpräsident Davutoğlu bestätigte am 13. Februar den grenzüberschreitenden Mörserbeschuss auf syrisches Gebiet. »Wir werden gegen jeden Schritt (der YPG) zurückschlagen«, sagte er dem staatlichen Sender TRT Haber. »Die YPG soll sich sofort aus Azaz und seiner Umgebung zurückziehen und nicht wieder in seine Nähe kommen.«xvii

Ergänzen Sie das nun noch mit der Tatsache, dass Washington in dieser Woche wiederholt geäußert hat, dass es die syrischen Kurden nicht als Terroristen betrachtet und dass die syrische kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) gerade ihre erste ausländische Vertretung in Moskau eröffnet hat. Wenn wir das alles zusammennehmen, beginnen wir, die Umrisse von Washingtons Strategie zu erkennen, die aufgeheizte und zum Hass aufgestachelte Türkei und Saudi-Arabien dahin zu lenken, Washingtons Stellvertreterkrieg auszulösen, einen Krieg, in dem die Türkei, ein NATO-Mitglied, Saudi-Arabien und die Ölstaaten am arabischen Golf sich in der syrischen Provinz Aleppo in direkter militärischer Konfrontation mit Russland vorfinden. Der türkische Artilleriebeschuss soll gegenwärtig offensichtlich die Gewässer eines Krieges mit Russland ausloten, um zu sehen, wie Russland im Zuge der Waffenstillstandsabkommen darauf reagieren wird. Wird Russland mit Schlägen gegen türkische militärische Ziele in einem NATO-Land kontern?

Verbinden Sie dies alles mit der unauffälligen strategischen Bereitstellung von »Stiefeln am Boden« in Syrien und im Irak seitens des Pentagons, und schon haben Sie das hochexplosive Gemisch, um die Ölfelder des gesamten Nahen Ostens hochzujagen, was die Welt erschüttern dürfte. Es geschieht wirklich, wie eine antike griechische Redensart sagt: Wen die Götter zerstören wollen, den treiben sie zuerst in den Wahnsinn.

Ich kann mir vorstellen, dass eine angewiderte Welt sich gegen diese amerikanischen Paten und ihre vorgeschobenen Stellvertreter im Krieg wendet und ihnen mit den Worten des großartigen Freddy-Mercury-Songs sagt:

Du hast Blut im Gesicht,
Du große Schande,
Wenn Du Dein Banner in der Gegend schwingst.

Wir werden, wir werden dich schütteln.
Sing jetzt!
Wir werden, wir werden Dich schütteln.

Kumpel, Du bist ein alter, armer Mann,
flehst mit den Augen, Dich endlich in Frieden zu lassen.
Du hast Dreck im Gesicht,
große Schande.
Besser, man bringt dich zurück auf deinen Platz.xviii



Fußnoten:


i F. William Engdahl, A Century of War: Anglo-American Oil Politics, Wiesbaden, edition.engdahl, 2010 (deutsch: »Mit der Ölwaffe zur Weltmacht«, Rottenburg, Kopp-Verlag, 2014).
ii U.S. Department of State, Statement of the International Syria Support Group (»Stellungnahme der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (ISSG)«), Washington, D.C., 11. Februar 2016.
iii TASS, Syria ceasefire deal doesn’t stop Russia’s air task force operation – official (»Das Waffenruheabkommen für Syrien beendet offiziell nicht die Operationen der Lufteinsatzgruppe Russlands«), 12. Februar 2016.
iv CBS/AP, US and Russia at odds again on all fronts in Syria (»USA und Russland wieder an allen Fronten in Syrien im Widerstreit«), 11. Februar 2016.
v TASS, op. cit.
vi Tyler Durden, It Will Take 10 Years To Recapture Mosul From ISIS US Army Officer Says (»US-Armee-Offizier sagt, es dauert zehn Jahre, um der ISIS Mosul wieder abzunehmen«), 8. Dezember 2015.
vii RT, Pentagon talk about boots on the ground in Syria a PR stunt top Russian MP (»Das Gerede des Pentagons über Stiefel am Boden in Syrien ist ein PR-Trick, sagt ein russischer Spitzenparlamentarier«).
viii Ibid.
ix Carol E. Lee, Dion Nissenbaum, Joe Biden Presses for Expansion of Turkeys Role in Fighting ISIS (»Joe Biden drängt auf eine Erweiterung der Rolle der Türkei im Kampf gegen IS«), 24. Januar 2016.
x Ibid.
xi Ibid.
xii F. William Engdahl, The Lost Hegemon: Whom the gods would destroy (»Der abgetretene Hegemon: Wen die Götter vernichten wollen«), mineBooks, 2016, Vorwort.
xiii PressTV, US military warns of catastrophic Mosul dam collapse (»US-Militär warnt vor einem katastrophalen Bruch des Mosul-Staudamms«), 28. Januar 2016.
xiv Alex Milner, Mosul Dam: Why the battle for water matters in Iraq (»Der Mosul-Staudamm, weshalb der Kampf um Wasser in Irak wichtig ist«), BBC News, 18 August 2014.
xv Sputnik News, Citing Terrorism Concerns John Kerry Supports Saudi Bloodbath in Yemen (»Mit dem Hinweis auf Sorge wegen des Terrorismus unterstützt John Kerry das Blutbad der Saudis in Jemen«), 25. Januar 2016.
xvi Rudy Panko, Saudis Say Assad Must Go, Deploy Jets to Turkey Joint Turkish Saudi Assault on Syria Now Imminent (»Die Saudis sagen, Assad muss gehen, kommandieren Düsenjäger in die Türkei ab, der gemeinsame türkisch-saudi-arabische Überfall auf Syrien steht kurz bevor«). Februar 2016.
xvii Diana Al Rifai, Turkey shells Kurdish-held airbase in Syria’s Aleppo (»Türkei beschießt von Kurden gehaltenen Flugplatz bei Syriens Aleppo«), 13. Februar 2016, Al Jazeera.
xviii Freddie Mercury – We Will Rock You Lyrics.





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