Auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg
Tyler Durden
Nachdem die Türkei bereits seit zwei Tagen syrisches Territorium beschossen hat, sollen neuesten Berichten zufolge auch etwa 100 türkische Soldaten in Syrien eingedrungen sein.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters erklärte die syrische Regierung, bereits »am Samstag seien an die 100 Soldaten mit zwölf Kleinlastwagen, auf deren Ladefläche schwere Maschinengewehre montiert seien, im Rahmen einer laufenden Unterstützungsoperation für die Damaskus angreifenden Rebellen in Syrien eingedrungen«. Laut der Regierung Assad laufe die »Versorgung mit Munition und Waffen weiterhin über den Grenzübergang Bab al-Salameh in die syrische Region Azaz in der Provinz Aleppo«.
Am Samstag traf es die Weltöffentlichkeit wie ein Schock, als die Türkei begann, Aleppo mit Granaten zu beschießen. In Aleppo sind die syrischen Rebellen aufgrund einer Offensive der Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden mit Unterstützung der russischen Luftwaffe ins Hintertreffen geraten.
Es lag andererseits auf der Hand, dass Ankara und Riad schnell etwas unternehmen mussten, wenn sie die Rebellen unterstützen wollten. Ihre Stellvertreter-Kämpfer waren unter massiven Druck seitens der Milizen Hassan Nasrallahs und der Luftwaffe Wladimir Putins geraten. Aber nur wenige hatten damit gerechnet, dass es so schnell zu einer Eskalation kommen würde.
Aber der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist eben unberechenbar (um das zu verstehen, muss man nur den überlebenden Piloten des russischen Kampfflugzeugs vom Typ Su-24 fragen, das die türkische Luftwaffe im November 2015 abschoss), und an diesem Wochenende entschied er nun, jetzt sei der geeignete Zeitpunkt gekommen, den Dritten Weltkrieg auszulösen.
Offiziell begründet die Türkei ihren Beschuss Syriens mit Selbstverteidigung. Es gehe darum, die Grenze vor Feindseligkeiten zu schützen, hieß es aus Ankara. Natürlich ist die Vorstellung lächerlich, die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen Kurden würden die Türkeiangreifen. Die syrischen Kurden kontrollieren bereits eine so große Region in Syrien, dass sie einen eigenen autonomen Quasi-Staat ausrufen könnten, eine »Eroberung« türkischen Territoriums ist aus ihrer Sicht in keiner Weise erstrebenswert.
»Sie missbrauchen die amerikanische Unterstützung, um Land von der Opposition zu erobern«, erklärte ein türkischer Regierungsvertreter und spiegelte damit die Verärgerung Ankaras darüber wider, dass es die Offensive der Russen und der Hisbollah den Kurden ermögliche, ihre Landgewinne zu konsolidieren. »Die USA sollten ihnen klarmachen, dass sie damit aufhören müssten, anstelle die Türkei zu drängen, aufzuhören.«
Aber genau hier liegt Erdoğans Problem. Ankara fürchtet, die Landgewinne der YPG könnten die PKK militärisch und die türkische HDP, die den Kurden nahestehende Demokratische Partei der Völker, politisch stärken. Zudem hatten die türkischen Wahlen im Juni vergangenen Jahres deutlich gemacht, dass die erstarkte kurdische Minderheit im Land durchaus das Potenzial besitzt, die innenpolitische Landschaft zu verändern.
Und daher ist die Türkei bereit, in Syrien im Namen des »Kampfes gegen den Terrorismus«, was für Erdoğan das Gleiche bedeutet wie die Auslöschung der Kurden, militärisch einzugreifen. Ankara und Riad stehen nun vor folgendem Problem: Die Türkei und Saudi-Arabien müssen nun versuchen, ihre Angriffe auf die YPG und ihre Bemühungen, die Rebellen in Aleppo zu retten, als »Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)« auszugeben, der allerdings in der betreffenden Region kaum präsent ist.
Allerdings gibt sich die Türkei keine große Mühe, den Schein zu wahren. Man hat mit anderen Worten den Eindruck, sie sei bereit, unter dem Vorwand in den Krieg einzutreten, die Türkei müsse die YPG zurückdrängen, die allerdings, wie man sich erinnert, ausdrücklich von den USA unterstützt wird.
Diese Einschätzung ergibt in einer Hinsicht durchaus Sinn. Man kann nicht Aleppo beschießen und den IS dazu als Ausrede benutzen. Dazu ist die Präsenz des IS in der Region nicht stark genug. Man könnte allerdings behaupten, bei der PKK handele es sich um Terroristen, diese seien mit derYPG verbündet, die sich wiederum in Aleppo aufhalte. Und daher müsse man Aleppo beschießen. Einfach ausgedrückt versucht Erdoğan in Wirklichkeit, die Versorgungslinien für die Rebellen, die Russland und der Iran unterbrochen hatten, wieder zu öffnen, indem er die kurdischen Kräfte ausschaltet, die die syrische Nordgrenze zur Türkei dominieren.
Auch am Sonntag setzte sich der Beschuss aus der Türkei fort. Unter Berufung auf die umstrittene Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete Reuters: »Die türkische Armee beschießt am Sonntag am zweiten Tag in Folge Positionen, die von kurdisch unterstützten Milizen im Norden Syriens gehalten werden.« Zwei Kämpfer seien dabei ums Leben gekommen. »Die YPG kontrolliert praktisch die gesamte Nordgrenze Syriens zur Türkei und ist im Kampf gegen den IS ein enger Verbündeter der USA. Ankara betrachtet die YPG demgegenüber als Arm der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit drei Jahrzehnten einen Kampf für Autonomie im Südosten der Türkei führt«, heißt es weiter.
Die Dschaisch at-Thuwwar (»Armee der Revolutionäre«), eine in die Freie Syrische Armee (FSA) integrierte Gruppe, die sich mit der YPG und dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye zu den Demokratischen Kräften Syriens zum Kampf gegen den IS zusammenschloss, warnte die Türkei vor weiteren Angriffen. Wenn die Türkei »in unserem geliebten Land eigene Ziele verfolgt, werden wir unser Land und unser Volk verteidigen und [die Türkei] als feindliche Partei betrachten«, hieß es in einer Verlautbarung.
Noch einmal: Diese Äußerungen stammen von Gruppierungen, die von den USA offen mit Waffen und Luftangriffen unterstützt werden. Es geht also nicht um die von der CIA unterstützte Opposition. Die Türkei beschießt Kämpfer, die über die Freigabe verfügen, Luftschläge amerikanischer Kampfflugzeuge anzufordern, die dann – eine doppelte Ironie – vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus starten würden.
Und wo wir gerade bei Incirlik sind, auch die Saudis begeben sich auf ihre Ausgangspositionen. So veranstalten sie ein »Manöver« namens »North Thunder« oder »Raad North«. Hier ein Bericht derSaudi Press Agency:
»Im Königreich Saudi-Arabien werden in den nächsten Stunden die Soldaten ankommen, die an der größten und wichtigsten Militärübung in der Geschichte der Region mit Namen ›Raad North‹ teilnehmen werden. Diese gemessen an der Zahl der teilnehmenden Staaten bisher größte Militärübung wird in derMilitärstadt König-Chalid nahe Hafr al-Batin im Norden des Königreiches stattfinden – insgesamt nehmen zusätzlich zu den Truppen des Golf-Kooperationsrates 20 arabische Staaten sowie andere islamische und befreundete Länder teil. Zu diesen Ländern gehören: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Bahrain, der Senegal, der Sudan, Kuwait, die Malediven, Marokko, Pakistan, der Tschad, Tunesien, Dschibuti, Oman, Katar, Malaysia, Ägypten, Mauretanien und Mauritius. Raad North ist hinsichtlich der Zahl der teilnehmenden Länder sowie der Qualität der Waffen und der vielfältigen und hochentwickelten militärischen Ausrüstung, darunter auch Kampfflugzeuge verschiedener Typen, die ein breites quantitatives und qualitatives Spektrum repräsentieren, das bisher größte Manöver dieser Art. Dies zeigt sich auch an der Beteiligung einer großen Bandbreite an Artilleriegeschützen und Panzern sowie an Infanterie und Luftverteidigungssystemen und Marineeinheiten an einer Simulation des höchsten Niveaus an Alarmbereitschaft der Streitkräfte der 20 Teilnehmerstaaten.Das Manöver Raad North ist eine eindeutige Botschaft an die saudischen Brüder und Freunde in den teilnehmenden Ländern, zusammenzustehen und sich allen Herausforderungen zu stellen, um Frieden und Stabilität in der Region zu erhalten. Darüber hinaus geht es darum, volle Bereitschaft zu demonstrieren, den Frieden und die Sicherheit der Region und der Welt zu gewährleisten.Aus Sicht von Analysten bestätigt Raad North, dass die führenden Vertreter der teilnehmenden Länder vollständig mit der Vision des Königreiches Saudi-Arabien übereinstimmen, dass es notwendig sei, den Frieden und die Stabilität in der Region zu schützen.«
Diese vielen Worte besagen eigentlich nur: »Wir lassen unsere Muskeln spielen, während wir uns vorbereiten, nach Syrien einzumarschieren.«
»Es halten sich nun Kampfflugzeuge der saudischen Streitkräfte dort auf«, erklärte Brigadegeneral Achmed al-Asseri am Sonntag gegenüber dem Nachrichtensender Al Arabiya unter Bezug auf diesaudische Präsenz auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik. »Das Königreich Saudi-Arabien steht bereit, sich an allen Bodenoperationen zu beteiligen, die die Koalition (gegen den IS) in Syrien ausführen will.«
Zur Erinnerung: Die Türkei beschoss am Samstag auch die syrischen Streitkräfte.»Türkische Artillerie beschoss gezielt Positionen der syrischen Kurden und der Syrischen Arabischen Armee«, meldete die Nachrichtenagentur SANA unter Berufung auf ein Schreiben aus Damaskus an die Vereinten Nationen. Es ist damit zu rechnen, dass diese Angriffe im Namen der Selbstverteidigung weiter anhalten werden. In der Zwischenzeit lassen die Russen mit ihren Angriffen nicht nach. Aleppo wird zurückerobert werden und damit basta, heißt es.
»›Russland ist entschlossen, vor Ort Fakten zu schaffen, und wenn sie dies erreicht haben, werden sie den Westen einladen, gegen den gemeinsamen Feind, den IS, zu kämpfen‹, sagte Norbert Röttgen, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, und bestätigte damit unsere Überzeugung, Russland sei entschlossen, aus einer Position absoluter Stärke zu verhandeln. ›Sagen wir doch deutlich, was diese Vereinbarung bedeutet. Sie erlaubt es Russland, Aleppo eine weitere Woche lang anzugreifen‹, meinte John McCain. »Putin hat kein Interesse daran, unser Partner zu sein. Er will das Assad-Regime an der Macht halten, er will Russland als Großmacht im Nahmittelosten etablieren, er will Syrien als Übungsfeld für das modernisierte russische Militär benutzen.‹«
Stimmt. Und es scheint, als sei Amerika nicht in der Lage, dies zu verhindern. Jetzt stellt sich eigentlich nur noch eine einzige Frage: Wie lange wird es dauern, bis die Türkei oder Saudi-Arabien einen Hisbollah-Kämpfer oder einen General der Revolutionsgarden töten? Oder schlimmer: Was geschieht, wenn ein russischer Soldat von den sunnitischen Kräften in der Region getötet wird?
.
Copyright © 2016 ZeroHedge
Bildnachweis USDoD
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Meinung des Verlags oder die Meinung anderer Autoren dieser Seiten wiedergeben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen