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Sonntag, 14. Februar 2016

Der Sieg des Krieges über den Frieden – Die Münchner Sicherheitskonferenz Teil II

Der Sieg des Krieges über den Frieden – Die Münchner Sicherheitskonferenz Teil II

Peter Orzechowski

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist zu Ende. Was in den drei Tagen auf dem diplomatischen Parkett des Nobel-Hotels besprochen wurde, ist schon während des Wochenendes durch die Ereignisse konterkariert worden. Die Gespräche konnten keinen Frieden zu schaffen. Im Gegenteil: Es wird immer wahrscheinlicher, dass sich der Kampf um Syrien zu einem großen Krieg der Blöcke ausweitet.

Was bleibt von München? Nach US-Außenminister John Kerry hat auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow vor einem Scheitern der Münchner Vereinbarung für eine Waffenruhe in Syrien gewarnt.

Er habe langsam Zweifel und sei sich nicht mehr ganz sicher, ob das Münchner Treffen der sogenannten Syrien-Unterstützergruppe so erfolgreich gewesen sei, sagte Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Er stellte infrage, ob die Amerikaner wirklich zu weiteren Schritten bereit seien. »Offensichtlich geht es vor allem darum, die Angriffe der russischen Luftwaffe zu beenden.« Nötig sei aber eine enge militärische Kooperation zwischen USA und Russland.

Und die ist ebenso weit von der Realität entfernt wie vor der Münchner Konferenz. Die Stimmung zwischen den USA und Russland sei frostig bis eisig, räumten Konferenz-Teilnehmer ein. Kein Wunder: Der US-Außenminister kritisierte öffentlich Russlands Vorgehen in Syrien. Die militärischen Angriffe in der Region seien nicht im Sinne der internationalen Gemeinschaft, so Kerry.

Moskau müsse einen Kurswechsel vollziehen und sich auf »auf andere Ziele konzentrieren«. Der Außenminister warf Russland vor, in Syrien nicht nur IS-Stellungen, sondern auch legitime Oppositionsgruppen zu bombardieren. Das müsse geändert werden: Nur so könne die Einigung auf eine Waffenruhe in Syrien umgesetzt und eine politische Lösung gefunden werden, sagte der US-Außenminister. Alle Entscheidungen, die in den kommenden Wochen und Monaten getroffen werden, könnten den Konflikt in Syrien beenden – oder weiter verschärfen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow konterte: »Kollektiven Anstrengungen stehen künstlich errichtete Schranken im Wege wie der Verzicht der NATO und der EU auf eine umfassende Zusammenarbeit mit Russland, die Schaffung neuer Feindbilder und die Stationierung von Waffen zur Verewigung jener Trennlinien in Europa, die der Westen zu vergessen feierlich versprochen hatte.«

Eine Waffenruhe in Syrien sei ohne Koordinierung zwischen den Militärs Russlands und der US-geführten internationalen Koalition undenkbar. »Die Anbahnung einer täglichen, einer stündlichen Zusammenarbeit und die Koordinierung zwischen den Militärs, vor allem russischen und US-amerikanischen, wären ein wichtiges Instrument zur Lösung von Problemen humanitärer Lieferungen und der Herbeiführung der Waffenruhe… Darüber sollten sich alle klar werden«, sagte der russische Chefdiplomat.

Diskutiert wurde in München natürlich auch Russlands langfristige Strategie in Syrien. Westliche Sicherheitskreise vermuten, dass der Kreml nach der Stabilisierung des Assad-Regimes in den westlichen Kerngebieten Syriens und dem Niederringen der bewaffneten Opposition binnen eines Jahres in einer zweiten Phase die Bekämpfung des »Islamischen Staates« im Osten Syriens beginnen wolle.

Laut den Sicherheitsfachleuten sehe sich der Kreml vor einer globalen Herausforderung. Sie geht davon aus, dass sich der »Islamische Staat« von Syrien aus nach Nordafrika, Zentralasien und Afghanistan ausbreiten wird. Der jetzige Militäreinsatz Moskaus gelte auch als Training für spätereAnti-Terror-Einsätze Russlands.

Während in München geredet wird, bombardiert die Türkei Syrien

In zahlreichen Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden wurde in München debattiert und diskutiert. Aber die Fakten schufen inzwischen die Türken.

Das türkische Militär hatte Ziele in den von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrollierten Gebieten nahe der syrischen Stadt Asas bombardiert. »Im Rahmen der Einsatzregeln haben wir auf Kräfte in Asas und Umgebung geantwortet, die eine Bedrohung darstellten«, sagte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu. Die YPG sei eine »Terrorgruppe, die ein Arm des syrischen Regimes ist« und bei den »russischen Luftangriffen gegen Zivilisten kollaboriert und daran mitschuldig ist«.

Die türkische Artillerie hat aber nicht nur die die kurdischen Selbstverteidigungskräfte unter Beschuss genommen, sondern auch die syrischen Regierungstruppen. Beschossen wurde die Stadt Deir Jamal im Norden Aleppos, wie eine Militärquelle der Agentur RIA Novosti am Sonntag mitteilte. »Die Stadt Deir Jamal kam unter weiteren Beschuss der türkischen Kanonen im Norden von Aleppo«, so der Militärsprecher.

Ankara müsse »den Beschuss beenden«, sagte daraufhin Außenamtssprecher John Kirby am Samstagabend am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei schwelt seit Monaten ein Streit über die Rolle der Kurden im syrischen Bürgerkrieg. Washington unterstützt die YPG militärisch. Für die amerikanische Regierung sind die Kurden wichtige Verbündete im Kampf gegen den IS in Syrien. Aus Sicht der türkischen Führung ist die YPG hingegen eine »terroristische Organisation«.

Mehr noch: Die Türkei erwägt sogar die Entsendung von Bodentruppen ins Bürgerkriegsland Syrien. »Wenn es eine Strategie gegen den IS gibt, könnten die Türkei und Saudi-Arabien einen Einsatz am Boden starten«, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Samstag nach seiner Teilnahme bei der Münchner Sicherheitskonferenz den türkischen Zeitungen »Yeni Safak« und »Haber«.

Cavusoglu kündigte in dem Interview an, dass Saudi-Arabien Kampfflugzeuge für den Einsatz gegen den IS zum türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik entsenden werde. Saudi-arabische Regierungsvertreter hätten den Stützpunkt bereits inspiziert. Wie viele Flugzeuge Riad dort stationieren werde, sei aber noch unklar.

Im südtürkischen Incirlik sind auch Bundeswehrsoldaten im Rahmen des Anti-IS-Einsatzes stationiert. Sie absolvieren dort mit bis zu sechs Tornado-Jets Aufklärungsflüge über Syrien und dem Irak. Ein Airbus hilft zudem bei der Betankung von Kampfjets der Koalition in der Luft, eine Fregatte gibt einem französischen Flugzeugträger Geleitschutz. An Luftangriffen beteiligt sich die Bundeswehr nicht.

Bereits vor der Münchner Konferenz hatte ein Sprecher des saudischen Verteidigungsministers angekündigt, Saudi-Arabien sei bereit, Bodentruppen nach Syrien zu schicken. Am Freitag sagte der syrische Präsident Baschar al-Assad, er halte ein Eingreifen von saudischen und türkischen Bodentruppen in seinem Land für wahrscheinlich.

Saudi-Arabien hat den Ton gegenüber Syrien dann am Sonntag noch einmal verschärft. Außenminister Adel al-Dschubeir forderte den gewaltsamen Sturz von Syriens Präsident Baschar al-Assad. In einem Interview für den TV-Sender CNN sagte der Diplomat: »Assad wird auf jeden Fall seinen Posten verlassen – entweder tritt er zurück oder wird gewaltsam abgesetzt.«

»Wir treten für eine politische Regelung der Syrien-Krise ein. Wenn aber die Situation in eine Sackgasse geraten sollte, werden nur das widersetzliche Assad-Regime und seine Verbündeten daran schuld sein. In diesem Fall bleibt nichts anderes übrig, als eine gewaltsame Problemlösung«, so Al-Dschubeir.

Schon am 6. Februar hatte der US-Sender CNN unter Berufung auf Quellen in saudischen Regierungskreisen berichtet, Saudi Arabien und seine Verbündeten von der Arabischen Koalition bildeten 150.000 Soldaten für eine mögliche Bodenoffensive in Syrien aus. Zugleich hatte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, mitgeteilt, dass Washington und Riad eineBodenoperation in Syrien erwägen.

Ein weiterer Hinweis auf die bevorstehende Eskalation ist eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters. Syrische Oppositionsgruppen hätten in den letzten Tagen von ihren Anhängern im Ausland zusätzlich Boden-Boden-Raketen für Mehrfachraketenwerfer vom Typ »Grad« erhalten, meldet die Agentur unter Berufung auf zwei Rebellenkommandeure.

»Das ist eine zusätzliche Feuerkraft für uns«, sagte einer der Kommandeure. Nach deren Berichten werden die Aufständischen seit dem Beginn der Offensive der Regierungstruppen gegen Aleppo mit Waffen versorgt. Nach Angaben der Agentur versorgen die ausländischen Gegner des syrischen Präsidenten Baschar Assad, darunter Saudi-Arabien und die Türkei, einige aufständische Gruppen über einen in der Türkei befindlichen operativen Punkt mit Waffen. Zudem hätten einige Gruppen eine militärische Ausbildung unter Aufsicht der CIA absolviert, so Reuters.

Beim Stichwort Truppenaufmarsch und Eskalation sollten wir nicht vergessen, was ich bereits früher hier berichtet hatte: Die NATO verlegt Kriegsschiffe ins Mittelmeer, um angeblich Schlepper zu bekämpfen. Tatsächlich können die NATO-Schiffe wichtige militärische Unterstützung für die Türkei liefern. Eigentlich würde ein solcher Einsatz mit deutscher Beteiligung die Zustimmung des Bundestages erfordern. Doch mit der Begründung, dass die NATO nur die Schlepper überwacht, wurde die Diskussion darüber im Keim erstickt.

Krieg um die Ukraine soll neu entfacht werden

Aber es ging in München nicht nur um Syrien. Die Stimmung wurde noch eisiger, als die Ukraine im Mittelpunkt stand. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erhob angesichts der andauernden Krise im Osten seines Landes schwere Vorwürfe gegen Russland: »Das ist kein ukrainischer Bürgerkrieg, das ist Ihre Aggression«, sagte Poroschenko am Samstag an die Adresse von Russlands Staatschef Wladimir Putin. »Es sind Ihre Soldaten, die mein Land besetzt haben«, ergänzte er.

Poroschenko warnte weiter vor einer Unterwanderung Europas durch russische Propaganda. Eine Gefahr für den Kontinent seien »alternative Werte«, die von Moskau proklamiert würden. Es existiere ein anderes Europa, ein Europa des Isolationismus, der Intoleranz, der Nichtachtung der Menschenrechte, der religiösen Fanatiker, der Homophobie, so Poroschenko. »Das alternative Europa hat einen Führer – und das ist Putin«, sagte Poroschenko und fügte hinzu: »Es hatBodentruppen – Parteien, die gegen Europa sind.« All dies führe zu neuem Nationalismus und Fanatismus.

Die Sanktionen gegen Russland müssten aufrecht erhalten werden, forderte der ukrainische Präsident. »Sanktionen sind keine Strafe, sie sind ein Mittel, um Russland am Verhandlungstisch zu halten. Es gibt kein anderes Mittel dafür.« Einen Dialog mit Russland könne es nur geben, wenn Moskau seine Soldaten aus der Ostukraine und von der Krim abziehe und aufhöre, die Rebellen im Donbass mit Waffen zu unterstützen. »Über die Grenze kommen jeden einzelnen Tag russische Truppen, russische Waffen, russische Munition in mein Land«, so Poroschenko.

Der ukrainische Staatschef äußerte sich nach Russlands Regierungschef Dmitrij Medwedjew in München. Dieser hatte die Beziehungen zwischen Moskau und Westeuropa zuvor als »neuen Kalten Krieg« bezeichnet. »Wir sind in eine neue Periode des Kalten Kriegs hineingeraten«, sagte er und ergänzte: »Die Beziehungen zwischen Europäischer Union und Russland sind verdorben, in der Ukraine tobt ein Bürgerkrieg.«

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), sagte, er stimme Poroschenko zu. Die russische Regierung versuche, »einen Keil in die EU zu treiben und sie zu spalten«. Polens Staatschef Andrzej Duda bekräftigte die Forderung nach einer stärkeren Präsenz der NATO in den Staaten Osteuropas. »Unsere Sicherheit ist jetzt der wichtigste Punkt«, sagte er.

Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite warf Russland einen »heißen Krieg« vor. Es gebe »offene russische Aggressionen« in der Ukraine und in Syrien. »Das ist alles andere als kalt, das ist jetzt schon heiß«, sagte Grybauskaite. Finnlands Staatschef Sauli Niinistö merkte an, dass Russland in jüngster Zeit an „allen Überraschungen immer irgendwie beteiligt“ gewesen sei – »vom Süden in Syrien bis hoch in die Arktis«.

Wenn Stimmung gegen Russland gemacht wird, darf natürlich einer nicht fehlen: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er kritisierte die Drohgebärden Russlands mit seinen Atomwaffen scharf und erinnerte die Führung in Moskau seinerseits an das Atomarsenal der westlichen Militärallianz. »Unsere Abschreckung hat ebenfalls eine atomare Komponente«, sagte Stoltenberg. »Russlands Rhetorik, Auftreten und die Manöver seiner Atomwaffen-Truppe zielen darauf, die Nachbarstaaten einzuschüchtern und das Vertrauen und die Stabilität in Europa zu untergraben.«

Da war er wieder, der Eishauch, der durch den noblen Ball-Saal des »Bayerischen Hofes« wehte. Warum nur hatte die Aussage des russischen Ministerpräsidenten Medwedew, der von einem »neuen Kalten Krieg« gesprochen hatte, für Verwunderung gesorgt? Medwedew hatte offensichtlichnur beschrieben, was er in München fühlen konnte. Manchmal habe er das Gefühl, man lebe nicht im Jahr 2016, sondern 1962, sagte er. Der Dialog mit der EU sei zusammengebrochen.

Krieg statt Frieden

Was hat die 52. Münchner Sicherheitskonferenz also gebracht? Vermutlich die Erkenntnis, dass der Graben zwischen den USA (und seinen Verbündeten) und Russland tief genug ist, um eine friedliche Lösung der Konflikte um Syrien und um die Ukraine – um die beiden wichtigsten zu nennen – zu verhindern. Und dass statt Dialog und Verständigung auf Provokation und Beschuldigung gesetzt wird – kein gutes Zeichen, wenn man auf Frieden hofft.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch einen Lichtblick: Unmittelbar vor dem Ende der Konferenz haben Kremlchef Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama miteinander telefoniert. Die Staatsoberhäupter lobten ausdrücklich die am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz erzielten Ergebnisse, teilte der Kreml mit.

Putin habe erneut für eine internationale Anti-Terror-Koalition in Syrien geworben, hieß es am Sonntag. Enge Kontakte zwischen den Verteidigungsministerien Russlands und den USA seien weiterhin nötig - etwa auch für humanitäre Hilfe in dem Bürgerkriegsland. Dazu würden die Behörden beider Länder künftig noch intensiv zusammenarbeiten.






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