Was in Saudi-Arabien stinkt, ist nicht der Kameldung
F. William Engdahl
In den letzten Wochen ist eine Nation nach der anderen im wörtlichen Sinne in das Schlachtfest hinein gestolpert, das fälschlicherweise als Krieg in Syrien und gegen den Islamischen Staat ausgegeben wird. Die am lautesten gestellte, aber am meisten gefürchtete Frage lautet: Wo wird dieser Kriegsrausch hinführen, und wie kann er noch, kurz bevor er den gesamten Planeten in einen Weltkrieg gegenseitiger Zerstörung hineinzieht, beendet werden?
Am 30. September begann die Russische Föderation als Antwort auf die förmliche Einladung oder Bitte des ordnungsgemäß gewählten Präsidenten der Arabischen Republik Syrien zunächst sehr effektive Bombenangriffe zur Unterstützung der syrischen Regierungsarmee.
Am folgenden 13. November folgten die Terroranschläge in Paris, zu denen sich der IS bekannte. Der französische Präsident verkündete daraufhin, Frankreich befinde sich »im Krieg« und schickte sofort dessen einzigen Flugzeugträger, die Charles de Gaulle, nach Syrien, um sich den Kämpfen anzuschließen.
Danach stimmte am 4. Dezember der Deutsche Bundestag zu, 1200 deutsche Soldaten und sechsTornado-Flugzeuge zur »Unterstützung« Frankreichs zu entsenden. Berichte aus Deutschland besagen, die Deutschen würden nicht mit Russland oder der Regierung Assad zusammenarbeiten, sondern mit der Befehlszentrale CentCom in Florida und dem Hauptquartier der Koalition, nicht der in Damaskus, sondern in Kuwait. In derselben Woche beschloss das britische Parlament, britische Flugzeuge und Streitkräfte zum Kampf gegen den IS nach Syrien zu schicken.
Wieder können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie nicht Russlands Vorhaben unterstützen, zusammen mit der syrischen Armee Assads die Souveränität in Syrien wiederherzustellen. Auch die Vereinigten Staaten behaupten, ihre Flugzeuge hätten seit über einem Jahr chirurgische Bombenangriffe auf IS-Stellungen geflogen. Doch deren Ergebnis war lediglich, das vom IS und anderen Terrorgruppen besetzte Gebiet weiter auszudehnen.
Wenn man sich nur eine Minute zurücklehnt und nachdenkt, kann man leicht erkennen, dass die Welt buchstäblich dabei ist, durchzudrehen. Dabei ist Syrien nur der Zünder einer weit hässlicheren Situation mit dem Potenzial, unseren schönen, friedlichen Planeten zu vernichten.
Es fehlt etwas Wichtigeres
In den letzten Wochen befriedigten mich immer weniger die allgemeinen Erklärungen darüber, wer tatsächlich an den Fäden im Komplott oder genauer, in den Anschlägen im gesamten Nahen Osten zieht. Seit dem überraschenden Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und Saudi-Arabiens Verteidigungsminister Prinz Salman im Juni 2015 in Sankt Petersburg weckte die saudische Monarchie den sorgfältig gepflegten Eindruck, sich dem früheren Erzfeind Russland wieder annähern zu wollen.
Man erörterte sogar den Kauf von russischer Militärausrüstung im Wert von bis zu zehn Milliarden Dollar und von Kernkraftwerken und möglicherweise das Zustandekommen eines »persönlichen Gesprächs« zwischen Putin und dem saudischen König Salman.
Die langen Wallfahrten arabischer Führer in den letzten Monaten nach Moskau und Sotschi, um Putin zu treffen, weckten den Eindruck einer modernen Version des Ganges nach Canossa von1076/77, als der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, Heinrich IV., Papst Gregor VII. vor der Burg in Canossa um den Widerruf seiner Exkommunikation anflehte.
In diesem Fall schien es sich um die arabischen Golf-Monarchen in der Rolle Heinrichs IV. und Wladimir Putin in der des Papstes zu handeln. So wirkte es jedenfalls. Wenigstens sah ich es damals so. Wie viele globale politische Ereignisse war auch dieses mit Täuschung und Lüge getränkt.
(Dem Vatikan gelang es 1076/77 in Canossa, den weltlichen Monarchen Heinrich IV. zu zwingen, vor der Macht der römischen Kirche auf die Knie zu fallen.)
Was sich jetzt herausstellt, und zwar besonders deutlich seit dem vorsätzlichen Abschuss des russischen Su-24-Kampfflugzeugs innerhalb des syrischen Luftraums durch die Türkei, ist, dass Russland nicht nur gegen Terroristen des IS Krieg führt, auch nicht nur gegen die Hintermänner des IS in der Türkei.
Russland nimmt, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, einen weitaus gefährlicheren Anschlag auf sich. Hinter diesem Komplott zeigt sich die verborgene Rolle Saudi-Arabiens und seines neuen Monarchen zusammen mit seinem Sohn, dem Verteidigungsminister Prinz Salman.
Saudi-Arabiens »impulsive Interventionspolitik«
Deutsche Medien haben breit über eine durchgesickerte Einschätzung des deutschen Geheimdienstes BND berichtet. Der BND-Bericht konzentriert sich unter anderem auf die immer wichtigere Rolle des Königssohnes, des 30-jährigen Prinzen Mohammed bin Salman. Hinsichtlich der wichtigen Rolle des jugendlichen Prinzen heißt es dort:
Prinz Salman ist Verteidigungsminister und führte das Königreich seit März letzten Jahres in einen verrückten Krieg im benachbarten Jemen, dem Salman den Codenamen »Operation Entscheidender Sturm« gegeben hat. Die Saudis stehen einer Koalition arabischer Staaten vor, der sich Ägypten, Marokko, Jordanien, der Sudan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar und Bahrain angeschlossen haben.
Der Prinz ist auch der Vorsitzende des Saudischen Wirtschaftsrats, den er gegründet hat. Der neue König Salman ist durchaus nicht der gutartige, nette Kerl, als den ihn sein PR-Stab darzustellen versucht.
Wie in meinem bald erscheinenden Buch The Lost Hegemon: Whom the gods would destroy (Der abgetretene Hegemon: Wen die Götter vernichten wollen) im Detail nachgewiesen werden wird, spielten die saudische Monarchie und radikale »islamistische« Terrororganisationen eine perverse Rolle, seitdem Miles Copeland, der CIA-Chef des Kairoer Büros, in den frühen 1950er Jahren die Übersiedelung der Muslimbruderschaft von Ägypten, wo sie wegen eines angeblichen Attentatsversuchs auf Präsident Nasser verboten war, nach Saudi-Arabien bewerkstelligt hat.
Wie John Loftus, ein ehemaliger Beamter im US-Justizministerium, es beschrieben hat, »kombinierte man« durch die Verbindung der ägyptischen Muslimbrüder mit dem strengen Islam der Saudis »die Lehren des Nationalsozialismus mit dieser seltsamen islamischen Sekte, dem Wahhabismus«.1
Allen Dulles‘ CIA überredete im Jahr 1954 die saudische Monarchie insgeheim, die verbotene Muslimbruderschaft wieder aufzubauen. Dabei schuf man eine Verschmelzung der Bruderschaft mit dem fundamentalistischen wahhabitischen Islam und hatte so, natürlich mit Unterstützung des gewaltigen Ölreichtums Saudi-Arabiens, eine Waffe, um die gesamte muslimische Welt gegen befürchtete sowjetische Übergriffe zu schützen.
Ein junger Mann namens Osama bin Laden sollte später aus dieser in der Hölle geschlossenen Ehe zwischen der Bruderschaft und dem wahhabitischen Islam Saudi-Arabiens hervorgehen.2
König Salman stand damals mitten in der Gründung von Osama bin Ladens al-Qaida, wie das Gebilde später in den Medien genannt wurde. Sein Engagement reicht bis Ende der 1970er Jahre zurück, als er Gouverneur von Riad war und größere konservative Wohltätigkeitsorganisationen in Saudi-Arabien leitete.
Von diesen stellte sich später heraus, dass sie al-Qaida in Afghanistan und Bosnien finanziert haben. Salman arbeitete als Geldkanal für das, was später al-Qaida wurde, eng mit bin Ladens»Betreuer« im saudischen Geheimdienst, dem damaligen Leiter des saudischen Geheimdienstes, Prinz Turki al-Faisal, und mit der von Saudi-Arabien finanziertenMuslim World League zusammen.3
König Salman leitete damals das Saudische Hochkommissariat zur Befreiung Bosnien-Herzegowinas. Es war in den 1990er Jahren die Hauptfrontorganisation al-Qaidas auf dem Balkan. Laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen überwies Salman in den 1990er Jahren über 120 Millionen Dollar von Provisionskonten unter seiner Kontrolle wie auch von seinen persönlichen Konten an die Third World Relief Agency,die eine der Frontorganisationen al-Qaidas und der Hauptkanal für illegale Waffenschiebereien anAl-Qaida-Kämpfer auf dem Balkan war. Osama bin Laden war an diesen Vorgängen unmittelbar beteiligt.4
Während der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003/04 gelangte al-Qaida unter Führung des jordanischen Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi, der sich bin Ladens al-Qaida angeschlossen hatte, in das Land. Laut Aussagen von Gerald Posner unterhielt auch Salmans Sohn Ahmed bin Salman, der im Jahr 2002 verstorben war, Verbindungen zu al-Qaida.
Ein saudisches Öl-Imperium
Wenn wir uns die Entstehung der al-Qaida im Irak und ihre Umwandlung in den Islamischen Staat im Irak und in Syrien (ISIS) ansehen, weisen alle Spuren zurück zu den Saudi-Operationen von Ende der 1970er Jahre und sind mit dem derzeitigen König Salman und dem Saudi Osama bin Laden zusammen mit dem Chef des saudischen Geheimdienstes, Prinz Turki al-Faisal, verbunden.
Washington und die CIA arbeiteten eng mit diesem Saudi-Netzwerk zusammen. Sie brachten bin Laden und andere wichtige Saudis nach Pakistan, um zusammen mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI das aufzubauen und auszubilden, was später die afghanischen Mudschahedin wurden. Saudi-Arabien, die pakistanischen und die US-Geheimdienste haben die Mudschahedin geschaffen, um in den 1980er Jahren mit der Operation Cyclone der CIA die sowjetische Rote Armee in Afghanistan zu besiegen.
Operation Cyclone war Zbigniew Brzezińskis Plan, Moskau in die afghanische »Bärenfalle« zu locken und der Sowjetunion das zu bereiten, was er ihr »Vietnam« nannte.5
Der heute so genannte IS im Irak und in Syrien sowie die Al-Qaida-Al-Nusra-Front in Syrien und verschiedene andere terroristische Dschihad-Splitter-Banden, die von der Regierung Assad in Damaskus zusammen mit Russland angegriffen werden, haben alle ihren Ursprung in Saudi-Arabien und in den Aktivitäten von König Salman.
Hat der König eine Bekehrung vom Saulus zu einem Paulus und zu einer pazifistischen Weltanschauung erlebt, seitdem er König geworden ist, und ebenso sein Sohn, Prinz Salman? Trotz einiger Signale in den letzten Monaten, dass die Saudis aufgehört haben, die Terrororganisationen gegen Assad in Syrien zu finanzieren, zeigt die Wirklichkeit das Gegenteil.
Viel Aufmerksamkeit erfährt in letzter Zeit verständlicherweise die türkische Diktatur unter dem Gangster Recep Tayyip Erdoğan. Dies gilt insbesondere, nachdem seine Luftwaffe vorsätzlich in einem Kriegsakt das russische Su-24-Flugzeug über syrischem Gebiet abgeschossen hatte. Worauf wenige dabei achten, sind die Beziehungen Erdoğans und seiner AKP zur saudischen Monarchie.
Laut einer gut unterrichteten politischen Quelle in der Türkei, mit der ich 2014 gesprochen habe und die an den Versuchen beteiligt war, einen Frieden zwischen Assad und Erdoğan zu vermitteln, wurde Erdoğans erster Präsidentschaftswahlkampf im August 2014 durch ein Geschenk von zehn Milliarden Dollar aus Saudi-Arabien »geschmiert«.
Nach seinem gekauften Sieg in der Präsidentschaftswahl rissen Erdoğan und sein ihm persönlich eng verbundener Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu die Türen weit auf, um geheime Ausbildungszentren für das einzurichten, was später der IS werden sollte.
Unter Aufsicht von Hakan Fidan, Erdoğans handverlesenem Geheimdienstchef (MIT), organisierte die Türkei im eigenen Land Lager zur Ausbildung des IS und anderer Terroristen und auch, um diesen den Nachschub in Syrien bereitzustellen.
Im Mai 2014 schickte der MIT an die IS-Terroristen in Syrien einen Sonderzug mit einer Menge schwerer Waffen und neuer Toyota-Pick-ups, die ihm von Saudi-Arabien angeboten worden waren.6
Jetzt legt eine detaillierte Untersuchung des türkischen Abschusses der russischen Su-24-Maschine dar, dass der türkische F-16-Jäger, der die Su-24 abgeschossen hat, dabei von zweiAWACS-Aufklärungsflugzeugen unterstützt worden ist, die dem türkischen F-16-Jäger den genauen Treffer ermöglicht haben, ein sehr schwieriges, wenn nicht unmögliches Kunststück bei einem so wendigen Düsenjäger wie der Su-24. Eines der AWACS-Flugzeuge war eine Boeing E-3A AWACSder saudi-arabischen Luftwaffe, die vom saudischen Luftwaffenstützpunkt in Riad aufgestiegen war.
Danach schoss eine saudische TOW-Flugabwehrrakete den russischen Rettungshubschrauber ab, der zur Absturzstelle der Su-24 geeilt war. Die Saudis hatten am 9. Oktober 500 der hochwirksamen TOW-Raketen an die Terrorgruppen in Syrien gegen Assad ausgeliefert.
Was wir vor uns haben, ist also kein isolierter russischer Krieg gegen den IS in Syrien. Hinter dem IS verbirgt sich nicht nur Erdoğans kriminelles Regime, sondern, viel wichtiger, das Königreich Saudi-Arabien und seine wahhabitischen Verbündeten Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.
Eigentlich ist der IS nur »eine getarnte Saudi-Armee«
Wenn wir die falsche religiöse Maskerade weglassen, handelt es sich um einen saudischen Vorstoß, um nach einigen der größten Erdölreserven der Welt zu greifen, die im sunnitischen Teil des Iraks und Syriens liegen.
Die Saudis benutzen dabei für die grobe Arbeit das kriminelle türkische Regime in der Rolle eines Schlägers, wie eines Türstehers vor einem Bordell. Wenn Moskau sich nicht diese größere Dimension der Ereignisse bewusst macht, läuft es Gefahr, sich in jener tödlichen »Bärenfalle« zu verfangen, die es mehr und mehr an Afghanistan in den 1980er Jahren erinnern wird.
Was in Saudi-Arabien stinkt, ist nicht der Kameldung. Es ist die Monarchie König Salmans und seines hitzköpfigen Sohns, Prinz Salman. Sie haben seit Jahrzehnten den Terrorismus unter einerfalschen religiösen Tarnung finanziert, um ihre privaten plutokratischen Pläne voranzubringen. Das hat alles nichts mit Religion zu tun, sondern nur mit Geld und Öl.
Schaut man sich das IS-Gebiet zwischen dem Irak und Syrien auf der Karte an, dann zeigt sich, dass er es zielgenau auf die Erdöllagerstätten dieser beiden souveränen Staaten abgesehen hat. Saudi-Arabiens Kontrolle über diese Erdölvorräte durch seine IS-Handlanger und ihr offenkundiges Vorhaben, die Konkurrenz des US-Schieferöls auszuschalten, würde die saudische Monarchie – so denkt Riad vielleicht – zu einem enorm viel reicheren Staat machen, zu einem, der wegen des Geldes schließlich von den reichen Weißen im Westen und ihrer Gesellschaft vielleicht respektiert wird.
Setzen Sie ja nicht auf diesen Salman.
Anmerkungen:
1 John Loftus, »The Muslim Brotherhood, Nazis and Al-Qaeda« (Die Muslim-Bruderschaft, Nazis und al-Qaida), 10. April 2006, Jewish Community News.
2 Robert Dreyfuss, Devil’s Game, 2005, New York, Metropolitan Books, S. 121–126.
3 F. William Engdahl, The Lost Hegemon: Whom the gods would destroy, mine.Books, Wiesbaden, 16. Januar 2016, Kapitel 7.
4 Ibid.
5 F. William Engdahl, a.a.O.
6 Ibid.
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