Irak fordert Russland möglicherweise zu einer »direkten militärischen Intervention zur Vertreibung der türkischen Soldaten auf«
Tyler Durden
Die Türkei scheint gegenwärtig vom Teufel geritten, wenn es um die Eskalationen im Nahen Osten geht. Als Erstes fachte Erdoğan vorsätzlich den Konflikt zwischen Ankara und der kurdischen PKK erneut an, um auf diese Weise in der Öffentlichkeit Ängste zu schüren. Das war, nachdem ihm die Bevölkerung bei den Wahlen eine Abfuhr erteilt hatte. Dann schossen die Türken eine russische Militärmaschine in der Nähe der syrischen Grenze ab. Und als bisher jüngsten Schritt entsandte Erdoğan Anfang Dezember an die 150 Soldaten und mehr als 20 Panzer in das nordöstlich von Mosul gelegene irakische Baschiqa, um möglicherweise die Schmuggelrouten zu sichern, über die das vom Islamischen Staat (IS) gestohlene Erdöl in die Türkei transportiert wird. Der Irak reagierte sehr aufgebracht und bezeichnete das Eindringen als schwere Verletzung seiner Souveränität.
Wir haben bereits den türkischen Truppeneinsatz ausführlich in unserem Artikel »Marschierte die Türkei in den Irak ein, um Erdoğans IS-Erdölschmuggelrouten zu schützen« erörtert. Hier unsere Schlussfolgerung in der Zusammenfassung:
»Die Ablehnung [des vorgeblichen türkischen Angebots, die Ausbildung irakischer Truppen zu unterstützen] unterstreicht die Tatsache, dass der Irak im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den IS die Unterstützung der NATO ablehnt. Die Iraker sind generell davon überzeugt, die USA stecken mit dem Islamischen Staat unter einer Decke, und man kann sicher sein, dass Russland und der Iran Bagdad raten werden, besonders standfest und unnachgiebig zu sein, wenn es um die äußerst verdächtige türkische Militärpräsenz nahe Nadschma geht.«
Man darf nicht vergessen, dass der Iran in politischer wie militärischer Hinsicht erheblichen Einfluss im Irak besitzt. Es hatte sich gezeigt, dass das irakische Militär aus eigener Kraft nicht in der Lage war und ist, das Land gegen den Vormarsch des IS zu verteidigen, und daher eilten von den al-Quds-Spezialeinheiten der iranischen Revolutionsgarden unterstützte schiitische Milizen, darunter auch die Badr-Organisation, das Khazali-Netzwerk und die Hisbollah-Bataillone (Kataib Hisbollah) zu Hilfe.
Infolgedessen spielte der Ajatollah im Irak eine bedeutende Rolle. Und wenn es um Loyalität geht, fühlen sich die Milizen und zahlreiche irakische Abgeordnete Teheran und insbesondere dem Kommandeur der al-Quds-Einheiten, Generalmajor Qassem Soleimani, verpflichtet. Entscheidend ist dabei Folgendes: Der Iran wird nicht tatenlos zusehen, wie Amerika und die Türkei weitere Bodentruppen im Irak stationieren und einsetzen.
Und daher drohte die Kataib Hisbollah nur wenige Stunden nach der Ankündigung des amerikanischen Verteidigungsministers Ash Carter, das Pentagon werde weitere amerikanischeSpezialeinheiten in den Irak entsenden, man werde diese Soldaten aufspüren und töten. Und keinesfalls zufällig lehnte der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Verstärkung der Präsenz amerikanischer Truppen nur wenig später ab.
Abadi räumte der Türkei eine Frist von 48 Stunden ein, um ihre Soldaten aus dem Irak zurückzuziehen, andernfalls drohten Konsequenzen.
Wie könnten diese Konsequenzen aussehen? Zum Beispiel drohte Bagdad damit, sich an den UN-Sicherheitsrat zu wenden, in dem Russland und China aller Wahrscheinlichkeit nach das Anliegen des Iraks unterstützen würden.
Aber einige irakische Politiker, wie etwa der Vorsitzende des irakischen Parlamentsausschusses für Sicherheit und Verteidigung, Hakim al-Zamili, dürften einen solchen Schritt kaum für eine angemessene Lösung halten.
Al-Zamili erklärte am Sonntag gegenüber Al-Araby al-Dschadid, der Irak »wird vielleicht Russland als Reaktion auf die türkische Invasion und die Verletzung der türkischen Souveränität schon baldum eine direkte militärische Intervention bitten. Der Irak ist in der Lage, diese militärischen Kräfte zurückzudrängen und sie vom irakischen Territorium zu vertreiben. Wir könnten aber auch Russland bitten, als Reaktion auf die türkische Verletzung der irakischen Souveränität im Irak militärisch zu intervenieren«. Und Hakim al-Zamili ist kein Unbekannter.
2007 wurde er von irakischen und amerikanischen Soldaten verhaftet, als er stellvertretender Gesundheitsminister war. Ihm wurde vorgeworfen, schiitische Kämpfer, die später irakische Sunniten entführten und töteten, mit Millionen von Dollar versorgt zu haben. Insbesondere warfen die USA al-Zamili vor, sein Amt dazu benutzt zu haben, eine skrupellose Einheit der sogenannten Mahdi-Armee zu leiten.
Diese schiitische Miliz war im Juni 2003 vom schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr gegründet worden, um gegen die amerikanischen Besatzungstruppen zu kämpfen. Die New York Timesberichtete damals, al-Zamili werde beschuldigt, im irakischen Gesundheitsministerium zahlreiche schiitische Kämpfer angestellt und amerikanische Gelder zweckentfremdet zu haben, die eigentlich zur Finanzierung des überlasteten irakischen Gesundheitssystems gedacht waren. Zudem habe er»Einrichtungen des Ministeriums« zu religiös bedingten Entführungen und Morden benutzt.
Im Folgenden ein interessanter Ausschnitt aus einer Sendung des amerikanischen NPR vermutlich aus dem Jahr 2010, in dem es um die Situation nach den damaligen Parlamentswahlen im Irak ging:
»Beim gestrigen Freitagsgebet in den Slums von Bagdads Sadre City erregte ein Mann in einem grauen Anzug scheinbar mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie der Geistliche, der seine Predigt auch der Übergangsverwaltung der Koalition im Irak widmete.Nach der Predigt, in der sowohl der bewaffnete, als auch der politische Widerstand gegen die Besetzung des Iraks gepriesen worden war, eilten viele aus der Menge der tausenden Anwesenden nach vorne, um Hakim al-Zamili zu gratulieren, der offenbar gerade einen Sitz im Parlament in Bagdad errungen hatte.In Sadr-City ist er zwar eine prominente Persönlichkeit, aber viele Iraker bezeichnen ihn als Kriegsverbrecher. Zamili war während der Eskalation des irakischen Bürgerkrieges stellvertretender Gesundheitsminister, und ihm wird vorgeworfen, das Wachpersonal des Ministeriums in eine schiitische Todesschwadron verwandelt zu haben, die hunderte Sunniten entführte und ermordete. Ein anderer hochrangiger Mitarbeiter des Ministeriums, der schwere Vorwürfe gegen Zamili erhob, ist verschwunden und vermutlich tot.Nachdem er von den Amerikanern verhaftet wurde und über ein Jahr im Gefängnis bleiben musste, sprach ihn ein irakisches Gericht nach einem kurzen Verfahren von allen Vorwürfen frei.›Wäre ich wirklich in diese Verbrechen verwickelt gewesen, hätten mich die Gerichte auch verurteilt‹, erklärte Zamili.«
Sicher. Aber wie auch immer, wir haben seit Monaten darauf hingewiesen, dass der Irak gegenwärtig von schiitischen Politikern und vom Iran unterstützten Milizen kontrolliert wird und so im Kern zu einer Kolonie Teherans geworden ist. Bagdad wird sich daher jeder einseitigen Entscheidung seitens der USA oder der Türkei widersetzen, Bodentruppen im Land zu stationieren.Und jeder Beteiligte weiß, wenn Bagdad Widerstand leistet, bedeutet dies, dass der Iran die entsprechende Entwicklung missbilligt.
Zamilis Warnungen machen eindeutig klar, dass der Irak (und damit der Iran) nicht davor zurückscheuen würde, Moskau um Hilfe zu bitten, wenn die Situation dies ihrer Ansicht nach erfordert – und die Milizen hätten kein Problem damit, die »Invasoren« anzugreifen.
»Türkische Interessen im Irak werden aufgrund des türkischen Angriffs auf irakisches Staatsgebiet nun zu legitimen [Angriffs-] Zielen«, hieß es in einer Erklärung der Kataib Sayyid al-Schuhada, einer der schiitischen Milizen der »Volksmobilisierung«. In ähnlicher Tonlage bezeichnet die Harakat al-Nujaba die Türkei als »Terrorstaat«. Wie man aus der Vergangenheit weiß, stehen diese Gruppen in unverbrüchlicher Loyalität und Opferbereitschaft zu Ajatollah Khamenei – sie fürchten weder Tod, noch Teufel, noch die USA, die Türkei oder den IS.
Wir wollen zum Schluss noch einmal al-Zamili zu Wort kommen lassen, der die Einrichtung des gemeinsamen nachrichtendienstlichen Zentrums unter Beteiligung des Irans, Russlands, Syriens und des Iraks mit Sitz in Bagdad im September so kommentierte:
»Auf diese Weise sollen die Beziehungen zum Iran, Russland und Syrien auf eine formelle Basis gestellt werden. Wir streben ein umfassendes Militärbündnis an.«
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Bildnachweis: "Russian military aircraft at Latakia, Syria (1)" by Mil.ru. Licensed under CC BY 4.0 via Commons
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