Obama verheimlichte, dass in Syrien auch die al-Qaida Sarin hatte
F. William Engdahl
Im August dieses Jahres ist die Welt um Haaresbreite an einer Militärintervention in Syrien vorbeigeschrammt, die leicht hätte ausarten und einen neuen Weltkrieg auslösen können. Eine saudi-arabische Zeitung veröffentlichte Vorwürfe, die von regierungsfeindlichen Oppositionsquellen in London bestätigt wurden, wonach die Assad-Regierung am 21. August bei einem Angriff auf Zivilisten in der Stadt Ghuta das Giftgas Sarin eingesetzt habe. Mit dem Angriff sei die von Obama formulierte »rote Linie« überschritten worden.
Obama stand unter enormem Druck, zu seiner früheren törichten Erklärung zu stehen, wonach für ihn eine »rote Linie« überschritten wäre, wenn Assad Giftgas einsetze. In diesem Fall würden die USA militärisch eingreifen. Saudi-Arabien, ein erbitterter Gegner Assads, Israel und wichtige EU-Länder verlangten von Obama, »zu seinem Wort zu stehen« oder zu riskieren, dass Amerika
seine Glaubwürdigkeit als Supermacht verlöre – ein echtes Chicken Game. Erst zwei Minuten vor zwölf griff Russlands Präsident Putin ein und warf Obama mit einem Leitartikel in der New York Times den Rettungsring zu. Moskau würde den Abbau aller syrischen Chemiewaffen in staatlichem Besitz vermitteln. Baschar al-Assad sagte umgehend seine Zusammenarbeit zu, der Casus belli war aus dem Weg geräumt. Sehr zum Ärger des saudi-arabischen Geheimdienstes und dessen Chef Prinz Bandar.
Jetzt hat der preisgekrönte Enthüllungsjournalist Seymour Hersh explosive Beweise dafür präsentiert, dass US-Geheimdienste und das Weiße Haus damals wussten, dass neben der syrischen Regierung – die verrückt gewesen wäre, Chemiewaffen einzusetzen, weil sie ja genau wusste, dass dies eine amerikanische Militärintervention auslösen würde – auch die größte oppositionelle Organisation, die al-Nusra-Front, eine dschihadistische Gruppe mit Verbindungen zural-Qaida, über Wissen und Material verfügte, Sarin herzustellen, und das in großen Mengen. Hersh konnte ein vierseitiges geheimes Telegramm einsehen, das am 20. Juni einem führenden Vertreter des militärischen Geheimdienstes Defense Intelligence Agency übergeben worden war. Es war eines von mehreren Dokumenten der Intelligence Community,in denen angeblich behauptet wird, die dschihadistische Rebellengruppe Dschabhat al-Nusra sei in der Lage, Sarin herzustellen.
Hersh betonte: »Ein früherer ranghoher Geheimdienstmann erzählte mir, die Regierung Obama habe Zeit und Reihenfolge der verfügbaren Informationen verändert, damit der Präsident und seine Berater geheimdienstliche Erkenntnisse, die erst nach dem Angriff gesammelt wurden, so aussehen lassen konnten, als wären sie während des Angriffs in Echtzeit abgefangen und analysiert worden. Diese Verdrehung erinnere ihn an den Zwischenfall am Golf von Tonkin im Jahr 1964, als die Regierung Johnson die Reihenfolge der von derNational Security Agency abgefangenen Meldungen änderte, um einen der ersten Luftangriffe auf Nordvietnam zu rechtfertigen. Derselbe Beamte sagte, beim Militär und in der Geheimdienstbürokratie herrsche enorme Frustration: ›Die Jungs reißen die Arme hoch und sagen: ›Wie können wir dem Kerl helfen‹ – Obama –, ›wenn er und seine Kumpel im Weißen Haus die Geheimdienstinformationen einfach erfinden?‹‹«
Bei Interviews mit verschiedenen hochrangigen US-Militär- und Geheimdienstquellen erfuhr Hersh, dass die CIA die Regierung Ende Mai »über al-Nusra und deren Arbeit mit Sarin informiert hatte und beunruhigende Berichte schickte, wonach eine weitere sunnitisch-fundamentalistische Gruppe, die in Syrien aktiv sei, die al-Qaida im Irak (AQI), ebenfalls wisse, wie Sarin hergestellt werde. Damals operierte die al-Nusra in der Nähe von Damaskus, auch im östlichen Ghuta«. Doch obwohl dies der Regierung Obama bekannt war, erklärte die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power am 21. August bei einer Pressekonferenz: »Es ist sehr wichtig zu betonen, dass nur das Assad-Regime Sarin besitzt und dass uns keine Beweise dafür vorliegen, dass die Opposition Sarin besitzt.«
Es ist nicht klar, ob gewisse Elemente in der Regierung die wichtige Information, dassal-Nusra Sarin herstellen konnte, vor dem Präsidenten geheim hielten, um ihn zu einem militärischen Angriff zu bewegen. Klar ist hingegen, dass Obama sofort zusagte, als Putin ihm einen Ausweg aus der verfahrenen Lage anbot, bei dem er sein Gesicht wahren und einen Krieg vermeiden konnte – nämlich den Abbau der staatlichen Chemiewaffenbestände, mit Zustimmung der syrischen Regierung. Damit war die Kriegsoption vom Tisch.
Hersh fragt: »Kennen wir jetzt die ganze Geschichte von Obamas Bereitschaft, von seiner ›roten Linie‹, seiner Drohung, Syrien zu bombardieren, abzugehen? Er hatte behauptet, der Fall sei eindeutig, willigte dann aber plötzlich ein, ihn vor den Kongress zu bringen, und akzeptierte später Assads Angebot, seine Chemiewaffen unschädlich zu machen. Es scheint möglich, dass er irgendwann direkt mit widersprüchlichen Informationen konfrontiert war: Beweise, die überzeugend genug waren, um seinen Angriffsplan zu verwerfen und die Kritik hinzunehmen, die mit Sicherheit von den Republikanern kommen würde.« Hersh endet mit einer beunruhigenden Anmerkung: »Während die syrische Regierung den Abbau des Chemiewaffenarsenals weiter vorantreibt, besteht die Ironie, dass danach die al-Nusra und ihre islamistischen Verbündeten die einzigen Kräfte in Syrien sein könnten, die über alles Notwendige zur Herstellung von Sarin verfügen, eine strategische Waffe, die anders wäre als alle anderen im Kriegsgebiet.«
Es sei betont, dass Kopp Online als erste Website berichtete, bei dem Chemiewaffenangriff am 21. August in Ghuta handele es sich wahrscheinlich um eine »Operation unter falscher Flagge« durch die von Saudi-Arabien unterstützte al-Nusra-Front, um eine amerikanische Militäraktion zu erzwingen:
»Alle Anzeichen, einschließlich von Befragungen der von dem Angriff in Ghuta betroffenen Familien, sprechen dafür, dass die israelische Regierung Netanjahu im Verein mit dem saudi-arabischen Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan einen Chemiewaffenangriff ›unter falscher Flagge‹ auf unschuldige Zivilisten inszenierte, um ihn der Assad-Regierung in die Schuhe zu schieben. Interviews jordanischer Journalisten mit Familien der Rebellenkämpfer in Ghuta bestätigen ebenfalls, dass Saudi-Arabien den verschiedenen Dschihad-Rebellen Chemiewaffen zur Verfügung gestellt hatte, ohne sie in deren Gebrauch zu unterweisen.
Derselbe Prinz Bandar, der in der Vergangenheit bei praktisch jedem US-Desaster im Nahen Osten eine schmutzige Rolle gespielt hat, sei es im Iran-Contra-Skandal oder bei der Irak-Invasion 2003,war bereits im Februar die Quelle unbestätigter Meldungen, Assads Truppen hätten Sarin eingesetzt.«
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