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Sonntag, 8. Mai 2016

»Die NATO muss die Gefahr im Süden erkennen« – Aufmarsch in Afrika und im Mittleren Osten

»Die NATO muss die Gefahr im Süden erkennen« – Aufmarsch in Afrika und im Mittleren Osten

Peter Orzechowski

Noch vor wenigen Tagen berichtete ich über den Truppenaufmarsch der NATO im Osten – vor Russlands Grenzen. Jetzt haben die Entscheider im Bündnis eine neue Konfliktregion ausgemacht: Der Süden, also Afrika und der Mittlere Osten, müsse militärisch geschützt werden, fordern Briten und Amerikaner. Dabei hat sich die NATO dort längst ausgebreitet.

»Die NATO muss aufwachen und die Gefahr im Süden erkennen. Seien es die Menschenschmuggler oder die Terroristen in Libyen und Syrien«, sagt der britische Verteidigungsminister Michael Fallon der Welt. »Die Bedrohung ist gleich vor unserer Haustür. Die NATO muss mehr tun, um ihre südliche Flanke zu schützen.«

Damit wird immer klarer, was ich hier auf Kopp Online bereits geschrieben habe: Die NATO soll als Bündnis in den Syrien- und in den gerade eingeleiteten Libyen-Krieg eingreifen. Nur so ist zu verstehen, dass die Verteidigungsminister aus den USA und Großbritannien bei einem Treffen der Anti-IS-Koalition der NATO am Mittwoch in Stuttgart an ihre Amtskollegen appellierten, den Kampf gegen die Terrormiliz IS spürbar zu verstärken.
Die Logistik der Terroristen, ihre Versorgung mit Munition und Waffen, müsse genauso angegangen werden wie die bereits erfolgende Unterstützung irakischer und kurdischer Kräfte im Kampf gegen die islamistische Terrorgruppe – hieß es. Zwar sind an der Anti-IS-Koalition alle großen NATO-Staaten beteiligt, doch sie ist keine offizielle NATO-Mission.

Die NATO bald in Libyen, Syrien und dem Irak?

Vorgeschoben als Begründung wird natürlich, dass sich der libysche Ableger des IS immer stärker ausbreitet. Die neue Regierung der nationalen Einheit vermag Libyen nicht unter ihre Kontrolle zu bringen. Obwohl diese Regierung deutlich gemacht hat, dass sie keinesfalls ausländische Truppen auf ihrem Boden sehen will, drängt die NATO ins Land. »Vielleicht gibt es für uns dort trotzdem Spielraum durch die Unterstützung der Küstenwache«, sagte Fallon.

Denn es sei besorgniserregend, wie der IS seine Küstennetzwerke dort mit Waffen und Munition versorge. »Möglicherweise gibt es hier für die NATO oder EU eine Rolle, nicht nur auf die Frage des Menschenschmuggels zu schauen, sondern auch bessere Geheimdienstinformationen aufzubauen über den IS-Waffenschmuggel«, so der Minister weiter.

Der britische Außenminister Philip Hammond ging Mitte April nach einem Besuch in Tripolis noch viel weiter: Er könne sich die Entsendung britischer Truppen in das nordafrikanische Land vorstellen. Voraussetzung sei aber eine Anfrage der libyschen Regierung.

Auch im Irak – so drängen Briten und Amerikaner – solle sich die NATO stärker engagieren, etwa durch Training der dortigen Armee und Hilfe bei der besseren Absicherung der vom IS zurückeroberten Städte. Die Bundeswehr beschränkt sich bisher auf die Ausbildung kurdischer Peschmerga-Kämpfer im Norden des Landes. Zudem beteiligen sich deutsche Tornado-Jets an der Luftaufklärung über dem Irak und Syrien.

Zur gleichen Zeit, nämlich am Mittwoch, hat Israel auf Einladung der NATO eingewilligt, eine offizielle Mission am Hauptquartier der militärischen Allianz in Brüssel zu eröffnen. Der israelische Botschafter in Belgien wird als Missionschef amtieren. In einer ersten Reaktion begrüßte Premier Netanjahu die Entwicklung, auf die Jerusalem »während Jahren« hingearbeitet habe. Israels Mission in Brüssel sei ein »wichtiger Ausdruck« für Israels Position in der Welt. »Die Nationen der Welt sind bestrebt, mit uns zusammenzuarbeiten, nicht zuletzt wegen unseres entschlossenen Kampfes gegen den Terrorismus, unseres technologischen Know-hows und unserer Geheimdienste«, unterstrich Netanjahu.

Das US-Einsatzkommando für Afrika operiert bereits – von Stuttgart aus

In den Kelley Barracks im Stuttgarter Stadtteil Möhringen befindet sich das US-Einsatzführungskommando für den afrikanischen Kontinent (Africom). Von Stuttgart aus werden also alle militärischen und strategischen Operationen in Afrika geführt. Die 1500 Mann starke Kommandozentrale ist Teil der langfristigen Afrika-Strategie, die auf Rohstoffsicherung und den sogenannten Kampf gegen den Terror zielt.

Africom ist Ausdruck der gewachsenen Bedeutung Afrikas für die USA: Zum einen wurden in Afrika in den letzten Jahren eine Reihe neuer Erdölvorkommen entdeckt. Zum anderen ist China in eine ernsthafte Konkurrenz um den Zugriff auf Erdölvorkommen weltweit getreten. Und zum dritten sollen die angeblichen islamistischen Terroristen in der Sahelzone bekämpft werden.

Westafrika ist dabei ein strategischer Schwerpunkt der USA. Die ölreichen Länder sind wichtig für die Versorgung der USA. Kein Wunder also, dass als künftiges Hauptquartier für ein zu schaffendes neues Regionalkommando die Errichtung eines riesigen US-Stützpunkts im westafrikanischen Inselstaat São Tomé und Príncipe geplant ist. Er soll auch Heimathafen eines neu zu schaffenden eigenen Flottenverbandes werden, der den Golf von Guinea und damit die Erdölausfuhr aus Nigeria kontrollieren würde. Der Vorschlag kam vom israelisch-amerikanischen Institute for Advanced Strategic and Political Studies, einer Einrichtung der Neokonservativen.

Ähnlich wie in den Gewässern um Nordostafrika und um die arabische Halbinsel sowie im südlichen Mittelmeer könnten amerikanische Kriegsschiffe einschließlich mindestens eines Flugzeugträgers – vielleicht wiederum unterstützt von anderen NATO-Partnern – hier dauerhaft vor den nordwestafrikanischen Küsten stationiert werden.

Was das Gebiet um den Golf von Guinea, von Liberia bis Angola, so interessant macht, ist vor allem sein Reichtum an Erdöl, der überwiegend erst in den letzten zehn Jahren entdeckt wurde. Nirgendwo auf der Welt werden derzeit so schnell so viele neue Vorkommen gefunden wie hier. Fast 20 Prozent des von den USA eingeführten Erdöls kommen aus dem Raum rund um den Golf von Guinea.

Neben der Kommandozentrale in Stuttgart rüsten die US-Streitkräfte in Afrika selbst auch auf: Nach dem 11. September 2001 setzten sich die USA mit rund 2000 (heute vermutlich 5000) Soldaten in Dschibuti in Nordostafrika fest, wo Frankreich schon seit der Kolonialzeit einen Stützpunkt besitzt. Der kleine Staat ist, geografisch gesehen, eine ideale Ausgangsbasis für Interventionsdrohungen sowohl gegen den Jemen im Norden als auch gegen Somalia im Süden.

In Dschibuti wurde das Hauptquartier der US-amerikanischen Combined Joint Task Force – Horn of Africa errichtet, das unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung für die Überwachung dergesamten Region zuständig ist und dabei von Einheiten mehrerer NATO-Mitgliedsländer, unter anderem auch der Bundeswehr, unterstützt wird. Die Special Forces unterhalten den Stützpunkt Camp Lemonnier, und ein Landungsschiff mit 600 Marines an Bord wurde dauerhaft vor der Küste stationiert. Auch die CIA operiert von Dschibuti aus.

Bereits seit sechs Jahren setzen die US-Streitkräfte von Dschibuti aus Aufklärungsdrohnen im Kampf gegen die in Somalia operierenden Gotteskrieger ein. Nach Recherchen des US-Magazins Wired legten die unbemannten Flugkörper dort innerhalb von fünf Jahren 25 000 Flugstunden zurück. Nachdem im Jahr 2011 auch mit Raketen bestückte Drohnen, die sogenannten »Reapers« (Sensenmänner), nach Dschibuti verlegt wurden, schlugen sie nach Angaben des Londoner Büros für investigativen Journalismus in Somalia mindestens neunmal zu. Dabei sollen insgesamt 170 Menschen getötet worden sein, unter ihnen auch 50 Zivilisten.

Außer in Dschibuti richteten die US-Streitkräfte Anfang 2014 auch einen Drohnen-Stützpunkt in der Wüstenstadt Agadez in Niger ein. Ein strategisch geschickt gewählter Ort. Denn Niger wird gleich von vier Operationsgebieten der angeblichen islamistischen Extremisten umgeben, Libyen und Algerien im Norden, Mali im Westen und Nigeria im Süden. Selbst der östlich angrenzende Tschad gilt als labil. Derzeit heben von dem US-amerikanischen Stützpunkt noch lediglich Aufklärungsdrohnen ab. Das könnte sich allerdings bald ändern, verlautet aus dem US-Verteidigungsministerium.

Neben Camp Lemonnier baut Africom derzeit auch kleine Basen in Kenia, Uganda und dem westafrikanischen Burkina Faso aus. Operationell sei eigentlich der gesamte Kontinent abgedeckt, sagte Carter Ham, ehemaliger Chef des Befehlsstabs von Africom, kurz vor seiner PensionierungAnfang 2014 vor dem US-Kongress.

»Für das Pentagon ist Afrika inzwischen Front und Zentrum«, sagt Rudolph Atallah, ehemaliger Pentagon-Direktor für die Terrorbekämpfung in Afrika: »Der kleine Fußabdruck, den wir einst auf dem afrikanischen Kontinent hatten, hat sich gewaltig ausgedehnt.«

NATO-Stützpunkte rings ums Öl

Der Süden der NATO ist nicht nur Afrika, sondern die gesamte Erdölregion des Nahen und Mittleren Ostens. Seit Jahren dehnt sich die NATO hier aus: Zu den sechs Staaten des Golf-Kooperationsrats (Gulf Cooperation Council, GCC) – das sind Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman – unterhält die NATO enge Beziehungen. Seit 2004 haben die Staaten des GCC zusammen mit der NATO und sieben weiteren Staaten am Mittelmeer – nämlich Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Mauretanien, Marokko und Tunesien – in der Istanbul Cooperation Initiative (ICI) militärische Partnerschaft vereinbart.

Die Hauptziele der ICI lauten: Mitarbeit bei der Kontrolle des Mittelmeers, des Roten Meers und des Golfs von Aden bis in das Arabische Meer und in den Persischen Golf; Bereitstellung von Truppen und Nachschub; Verpflichtung zu gegenseitiger Verteidigung nach Artikel 5 des NATO-Vertrages, das heißt: Ein Angriff auf einen dieser Staaten könnte den NATO-Bündnisfall auslösen.

Die Golfregion sieht die NATO »als eine Erweiterung des europäisch-atlantischen Sicherheitsraums«, wie Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen schon 2009 gegenüber einem Korrespondenten von al-Arabiya erklärte. Aber nicht nur im Süden des Iran hat die NATO eine beachtliche Bündnisstruktur aufgebaut. Im Irak, der im Westen an den Iran grenzt, soll jetzt die NATO deutlich aktiver werden (siehe oben).

Nördlich des Irak entwickelt sich Aserbaidschan – wie ich bereits früher berichtet habe – zum NATO-Vorposten im südlichen Kaukasus und im Kaspischen Becken. Afghanistan, östlich des Irangelegen, ist auch nach dem Abzug der alliierten Truppen mit etwa 400 Basen bestückt, deren wichtigste jederzeit wieder aktiviert werden können. Zudem ist das Land mit Pakistan und der NATO in der sogenannten trilateralen Militärkommission verbunden.

Südlich des Iran, aber auf der anderen Seite des Persischen Golfs, haben die USA in den letzten Jahren massiv ihre Stützpunkte in Katar, Kuwait, Oman, Bahrain und den Vereinigten Emiraten ausgebaut. Außerdem bleibt das umfangreiche Stützpunktsystem in Saudi-Arabien, das unter Kontrolle der USA angelegt wurde und völlig auf deren Bedürfnisse zugeschnitten ist, auch nach Abzug der US-Truppen im Jahr 2001 verfügbar.

Der Aufmarsch im angeblich von der NATO vernachlässigten Süden ist also längst vollzogen. Neu ist nun, dass die USA und Großbritannien auch ein militärisches Engagement ihrer Partner in den Bürgerkriegszonen im südlichen und östlichen Mittelmeer fordern.





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