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Dienstag, 19. Januar 2016

China und Russland fordern die »unvergleichliche« Flotte der USA heraus

China und Russland fordern die »unvergleichliche« Flotte der USA heraus

F. William Engdahl

Führende Militärstrategen der Vereinigten Staaten studierten nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 sorgfältig die imperiale Vorgehensweise ihrer englisch sprechenden Vettern in Großbritannien. Nachdem 1873 die britische Wirtschaft tiefer in das eingesunken war, was sie »die Große Depression« nannten, haben Männer wie Junius Pierpont Morgan, der mächtigste Bankier in Amerika, Andrew Carnegie, der führende Stahlproduzent, und John D. Rockefeller, der US-Ölmonopolist, – also Amerikas erste Oligarchen – begriffen, dass die Vereinigten Staaten, wenn sie mit Großbritannien als der damaligen Weltmacht Nummer eins wetteifern wollten, eine »navy second to none«, eine Kriegsflotte, »die ihresgleichen sucht«, haben sollten. Diese Vorherrschaft der US-Kriegsflotte könnte nun schon bald Geschichte sein. Schauen Sie sich genau an, was China und Russland strategisch auf den Meeren unternehmen!

Im August 2015 ereignete sich etwas, dessen längerfristige strategische Bedeutung in Washington und in der NATO-Zentrale Bestürzung auszulösen beginnt. Russland und China, die beiden großen eurasischen Nationen, führten gemeinsame Marineübungen im Japanischen Meer vor der Küste der östlichsten Hafenstadt Russlands, Wladiwostok, durch.

Vizeadmiral Alexander Fedotenkow, der stellvertretende Kommandeur der russischen Marine, sagte damals als Kommentar über die Bedeutung der Manöver: »Der Umfang der Übung«, an der 22 russische und chinesische Kriegsschiffe, 20 Flugzeuge, 40 gepanzerte Fahrzeuge und 500 Soldaten beteiligt waren, »ist beispiellos«. Die Übungen simulierten kriegerische Maßnahmen gegen Flugzeuge und U-Boote.

Es handelte sich um Phase zwei der gemeinsamen chinesisch-russischen Marineübungen namens Gemeinsame See 2015 die im Mai mit dem ersten gemeinsamen Manöver von zehn russischen und chinesischen Schiffen im Mittelmeer begonnen hatten.

Die strategische Bedeutung der gemeinsamen russisch-chinesischen Marineübungen sowohl im Mittelmeerraum als auch in den Gewässern vor der chinesischen und russischen Küste im Fernen Osten ist nur die Spitze einer eindeutig weitaus größeren gemeinsamen Militärstrategie, die möglicherweise die Herrschaft der USA über die Weltmeere herausfordern wird.

Marineüberlegenheit war die entscheidende Voraussetzung im amerikanischen Plan für den Machterhalt. Im Mittelmeer unterhält Russland einen Marinestützpunkt im syrischen Tarsus als bloßen »Technischen Versorgungsstützpunkt«. Für Russland ist der syrische Stützpunt, seine einzige Basis im Mittelmeer, von strategischer Bedeutung.

Wenn die auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte für Unterstützungsoperationen wie die laufende militärische Intervention in Syrien erforderlich ist, dann ist Tarsus von unschätzbaremWert; das gilt auch für andere von der russischen Küste weit entfernte Operationen.

Chinas erste Marinebasis im Ausland

Zu einem weiteren scheinbar weniger wichtigen Ereignis kam es gegen Ende des Jahres 2015, das kaum Kommentare in den Mainstreammedien auslöste. China gab damals bekannt, dass es wegen eines chinesischen Marinestützpunkts Verhandlungen mit der Regierung eines der strategisch am günstigsten gelegenen und kleinsten Länder der Welt, der Republik Dschibuti, aufgenommen habe.

Dschibuti hat geografisch das Glück oder Unglück, am Horn von Afrika direkt gegenüber von Jemen zu liegen, wo gerade ein erbitterter Krieg zwischen einer Koalition unter Führung des wahhabitisch-sunnitischen Saudi-Arabiens und schiitischen Huthi ausgetragen wird. Dort an der schmalsten Wasserstraße, einem strategischen Nadelöhr, mündet das Rote Meer in den Golf von Aden. Dschibuti grenzt im Norden an Eritrea, im Westen und Süden an Äthiopien und im Südosten an Somalia.

In Dschibuti wird über Chinas allererste Marinebasis im Ausland an einem der wichtigsten Wasserwege für die Weltöl- und Handelsströme nach China verhandelt.

Technisch gesehen wäre der chinesische Stützpunkt ein bescheidenes logistisches Marinezentrum für chinesische Patrouillenboote, die sich an UN-Aktivitäten zur Kontrolle der Piraten vor Somalia beteiligen. Das Pekinger Außenministerium erklärte, dass der neue Stützpunkt lediglich der chinesischen Flotte eine militärische Infrastruktur in Afrika bieten solle, um China bei der Erfüllung seiner internationalen Friedensmissionen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu helfen.

Bezeichnenderweise haben die Chinesen dafür das öde, kleine Land Dschibuti, die Heimat von nur rund 850 000 Einwohnern, ausgesucht, in dem zufälligerweise auch die US-Flotte mit Camp Lemonnier ihren einzigen Stützpunkt in ganz Afrika unterhält.

Camp Lemonnier ist eine Expeditionsbasis der US-Flotte, die einzige ständige Basis von US AFRICOM und das Zentrum eines Netzes von sechs US-Drohnen- und -Überwachungseinrichtungen in ganz Afrika. Der Hafen Dschibuti beherbergt auch italienische, französische, japanische und pakistanische Militäreinrichtungen – alles nette Nachbarn.

Trotz der Tatsache, dass es sich im Vergleich zum Camp Lemonnier nur um eine kleine, bescheidene chinesische Anlage handelt, ist ihre geopolitische Bedeutung für China und diekünftige Hegemonie der US-Marine weitaus größer.

Vasili Kashin, Experte für chinesisches Militärwesen am Analysezentrum für Strategie und Technologie in Moskau, schrieb in einer russischen Zeitschrift: »Die politische Bedeutung des Ereignisses übertrifft sein militärisches Gewicht. Schließlich wird dies selbst in beschränktem Umfang der erste eigentliche chinesische Militärstützpunkt im Ausland sein.«

Kashin betonte ferner, dass die Pläne für die Dschibuti-Basis »ein starkes Indiz dafür sind, dass China zu einer immer vollwertigeren maritimen Großmacht auf Augenhöhe mit Frankreich und Großbritannien wird, um nicht von Russland oder den Vereinigten Staaten zu sprechen. Es ist ein Hinweis dafür, dass Peking versucht, seine Interessen im Ausland auch mit dem Einsatz seiner Streitkräfte abzusichern. Und seine Interessen sind recht beträchtlich«.

Der US-Politologe James Poulos veröffentlichte in der in Washington erscheinenden Zeitschrift The Week die Warnung, dass Washingtons Präsenz auf dem an Ressourcen reichen afrikanischen Kontinent dahinschwinde, während diejenige Chinas stark zunähme. Er bemerkt:

»... Äthiopien hat gerade die USA mit einer Basis für Drohnen ausgebootet, die Washington zu erweitern gehofft hatte ... Mit anderen Worten: Während China sein Geschäft in Dschibuti ausbaut, erfahren die USA in diesem Land Einschränkungen für ihre ostafrikanischen Operationen – ein gefährdeter Brückenkopf in einem umstrittenen Umfeld. In diesem Jahr könnte Afrika zu einer neuen Bürde für die USA werden – und zu einer neuen Lebensader für China

Keine Kriegsmarine mehr, »die ihresgleichen sucht«!

Seit der Vorbereitung auf den Einstieg in den Ersten Weltkrieg mit der Verabschiedung des Flotten-Ausbaugesetzes durch den Kongress im Jahre 1916 bestand Washingtons Strategie darin, eine Marinestreitmacht zu bauen, »die ihresgleichen sucht«. Heute stehen die USA, zumindest den Zahlen nach, immer noch »an erster Stelle«.

Doch das steht nur auf dem Papier. Ihre Marine verfügt über 288 Kriegsschiffe, von denen ein Drittel jeweils unterwegs ist. Sie besitzt zehn Flugzeugträger, mehr als der Rest der Welt zusammen. Sie unterhält neun amphibische Angriffsschiffe, 22 Kreuzer, 62 Zerstörer, 17 Fregatten und 72 U-Boote, darunter 54 nuklearangetriebene Angriffs-U-Boote. Die US-Marine stellt mit 3700 Flugzeugen auch die zweitgrößte Luftwaffe der Welt und ist in Bezug auf ihr Personal die größte Flotte.

Achten Sie jetzt auf das vereinigte Potenzial der chinesischen und der russischen Flotten, und das Bild bekommt eine ganz andere Dimension. Darauf wurden die Planer im Pentagon erst aufmerksam, nachdem sie die kriegerische und provokative Politik der törichten Neokonservativen gegen China in der Region von Obamas »Dreh-und-Angel-Punkt Asien« und gegen Russland in derUkraine auf die geopolitische Realität gestoßen hat, dass die militärische Zusammenarbeit von China und Russland heute enger ist als je zuvor in ihrer Geschichte.

In den letzten 25 Jahren hat die wirtschaftliche Modernisierung der Flotte der Volksbefreiungsarmee (PLAN) sich in eine wirkliche Hochseeflotte mit bemerkenswerter Leistung verwandelt. Die PLAN verfügt derzeit über einen Flugzeugträger – zwei weitere sind im Bau –, über drei Amphibientransportschiffe, 25 Zerstörer, 42 Fregatten, acht nuklearangetriebene und etwa 50 konventionelle Angriffs-U-Boote sowie über eine – einschließlich des chinesischen Marine Corps – 133 000-köpfige Mannschaft. Die Luftwaffe der PLAN umfasst 650 Flugzeuge, darunter trägerbasierte J-15-Kampfflugzeuge, J-10-Mehrzweckkampfflugzeuge, Y-8-Marinefernaufklärer und Z-9-U-Boot-Jagdflugzeuge.

Wenn wir dann die russische Kriegsmarine hinzunehmen, die, nachdem sie nach Beendigung des Kalten Kriegs vernachlässigt worden war, zurzeit dramatisch modernisiert wird, ergibt sich ein Bild, das – gelinde ausgedrückt – Washington herausfordert.

Die russische Marine verfügt über 79 Schiffe der Fregattenklasse und größer, darunter ein Flugzeugträger, fünf Kreuzer, 13 Zerstörer und 52 U-Boote. Russlands Stärke zur See ist seine U-Boot-Flotte mit 15 nuklearangetriebenen, 16 konventionell angetriebenen Angriffs-U-Booten sowie sechs Träger-U-Booten für Marschflugkörper und neun Träger-U-Booten für ballistische Raketen. Die neun U-Boote für ballistische Raketen stellen Russlands wichtigste nukleare Zweitschlagkapazität dar.

Russland plant, mindestens einen weiteren Flugzeugträger anzuschaffen, dazu eine neue Klasse von Lenkflugkörperzerstörern, Borei-II-U-Booten für ballistische Raketen und nuklearangetriebenen U-Booten der Yasen-II-Klasse und dazu noch verbesserte, konventionell angetriebene Angriffs-U-Boote der Kilo- und Lada-Klasse.

Russland führt eine »tiefgreifende Modernisierung« der U-Boot-Flotte durch. 2013 erhielt die Flotte ein neues nuklearangetriebenes U-Boot für ballistische Raketen (SSBN) der Borei-Klasse, und sie plant, im nächsten Jahrzehnt fünf weitere davon anzuschaffen. Die Flotte bekam 2014 ein Landungsboot der Dyugon-Klasse. Die Modernisierungskampagne ist Teil eines größeren russischen Programms zur Wiederaufrüstung der Kriegsflotte in den nächsten 20 Jahren. Veranlasst wurde es offensichtlich dadurch, dass die USA unerbittlich an ihrer destabilisierenden Strategie der ballistischen Raketenabwehr, die sich gegen Russlands atomare Streitkräfte richtet, festhalten.

Ein weiteres SSBN oder U-Boot zum Abschuss atomarer, ballistischer Flugkörper der Borei-Klasse, die Wladimir Monomach, nahm 2015 den Betrieb auf. Ihr Schwesterschiff, die SSBN Alexander-Newski der Borei-Klasse, hat vor Kurzem bei der Halbinsel Kamtschatka erfolgreich einen Einzeltestabschuss einer Bulawa, einer ballistischen Interkontinentalrakete, durchgeführt. Die neuen U-Boote werden Auswirkungen auf die strategischen nuklearen Operationen im Pazifikraum haben:

Sie fahren leiser und können doppelt so viele Atomsprengköpfe wie die aktuelle Klasse der Delta-III-U-Boote, dazu mit weitaus größerer Treffgenauigkeit, mit sich führen. Die auf der Halbinsel Rybachiy stationierten SSBN der Borei-Klasse verkehren offiziell zum Schutz Russlands auf Abschreckungspatrouillen im Pazifik. Das erste von sechs in den nächsten zehn Jahren für den Dienst im Fernen Osten geplanten, nuklearangetriebenen Mehrzweck-Angriffs-U-Booten (SSBN) der Yasen-Klasse wird sich frühestens 2017 der Pazifikflotte anschließen.

Zusammengenommen wird die bedeutende russische Seekriegserfahrung während des Kalten Kriegs in Verbindung mit dem ehrgeizigen chinesischen Aufbau und dem weiteren Ausbau einer modernen Hochseeflotte die US-Vorherrschaft auf den Weltmeeren wie nie zuvor herausfordern. Dies könnte die richtige Zeit für US-Institutionen und Militärplaner sein, Pläne für die Deeskalation des Weltkriegs zu prüfen, bevor es zu spät ist. Ist das naiv? Warum sollte das der Fall sein?




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